Biblische Plagen

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hurmelchen Avatar

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Ja, der Meister kann es noch immer, abgründige Geschichten schreiben, die der Gesellschaft den Spiegel vorhalten.

Nur leider sind die Romane nicht mehr durchweg genial oder überzeugend.

T. C. Boyles Prosa ist auch in seinem 19. Roman „Blue Skies“ beeindruckend. Schon der erste Satz ist ein Versprechen: „ Sie waren wie Schmuck, wie ein lebendiger Schmuck, und sie stellte sich vor, wie sie sich eine um die Schultern legen und vor Bobo oder dem Cornerstone an einem Tisch auf dem Bürgersteig sitzen würde, und Leute würden vorbeigehen und so tun, als würden sie sie nicht bemerken.“

Am Ende des ersten Kapitels ist man begeistert, hat die Empfindung, eine von Boyles grandiosen Kurzgeschichten gelesen zu haben, eine in sich abgeschlossene, perfekt aufgebaute, literarische Pretiose. Kapitel 2 schließt ebenso grandios an, baut virtuos auf Kapitel 1 auf, endet mit einem Paukenschlag, wie schon das erste Kapitel, alles in einem makellosen Stil.

Doch leider nimmt die Qualität dieser anfangs so wunderbar konstruierten Familien- und Katastrophen- Geschichte stetig ab und bleibt fortan nur mehr situativ, bis auf einen typisch Boyle‘schen Plot - Twist, der hier nicht gespoilert werden darf.

Von Anfang an regnet, stürmt und gluthitzt es immerfort und die Familie, um die herum die Apokalypse tobt, findet sich, anders als Boyles Protagonisten in „Ein Freund der Erde“, mehr als zwanzig Jahre zuvor, irgendwie damit ab, solange es noch Alkohol und Essen gibt. Die Keimzelle der amerikanischen Gesellschaft- jeder Gesellschaft- die Familie, ist wie so oft bei Boyle in Gefahr.

Ottilie und Frank, ein Durchschnitts- Ehepaar, lebt in Kalifornie, welches peu a peu in Flammen aufgeht. Sohn Cooper, ein angehender Insektenforscher, lebt in der Nähe, und Tochter Catherine, genannt Cat, wohnt mit ihrem Verlobten Todd, einem Kotzbrocken von Bacardi- Vertreter, in Florida, welches durch permanenten Regen abzusaufen droht. Aber dieser Familie droht von noch mehr Seiten Ungemach, von invasiven Tieren, Hurricanes, Buschfeuern und Springfluten, kurz, vor der ganzen Klaviatur des Klimawandels.

Dieses Szenario wird Seite um Seite mehr oder minder detailliert beschrieben, bis man die Insektenstiche spürt und den Regen rauschen hört. Hut ab, vor Boyles Recherchearbeit und natürlich vor seiner fantastischen Sprache, die wiederum hervorragend von Dirk van Gunsteren ins Deutsche übertragen wurde.

Das Ausloten menschlicher Abgründe, die grenzenlose Naivität der Protagonisten, die weitermachen, wie bisher, die stetig zunehmende Bedrohung durch Gesellschaft, Umwelt und Psyche, das alles beschreibt Boyle meisterhaft, wie immer. Das einzige, was ihm dabei fehlt, ist eine schlüssige, spannende Story, denn außer zwei heftigen Schicksalsschlägen, passiert nicht viel.

Und so bleibt die Wucht der Naturkatastrophen, die wie biblische Plagen über die USA hereinbrechen. Die Katastrophe in der Katastrophe wird von Cat durch den Erwerb einer Python herbeigeführt. Auch hier durchaus ein biblischer Querverweis. Eine Frau und eine Schlange beenden das Paradies.

Ob es am Ende vielleicht doch noch Erlösung gibt, bleibt offen. Aber es gibt einen Ausblick. Nicht, wie nach der biblischen Sintflut durch eine Taube, sondern durch den fast ausgestorbenen Monarchfalter, der auch in T. C. Boyles eigenem kalifornischen Garten, wie Phönix aus der Asche wieder auftauchte.