Summer in the City

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wolfgangb Avatar

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London im Sommer, brütende Hitze liegt über der Stadt. Ein Serienmörder hinterläßt bei seinen Opfern jeweils das Bild eines Engels und blutige Federn. DCI Burns, der leitende Ermittler, zieht die Psychologin Alice Quentin zu Rate, die ihm noch von ihrer Zusammenarbeit im Crossbones-Fall vertraut ist. Da es sich beim ersten Opfer um einen hochrangigen Investmentbanker handelt, führt die Spur zunächst in die Chefetagen des Londoner Finanzdistrikts, doch bald findet sich Quentin mit den im Halbdunkel angebotenen Dienstleistungen der angrenzenden Etablissements konfrontiert ...

In knapp fünfzig Kapiteln läßt die promovierte Literaturwissenschafterin Kate Rhodes nach ihrem Debut "Im Totengarten" ihre Leser abermals an der Jagd der sympathischen Hauptfigur Alice Quentin nach einem Gewalttäter teilhaben. Dabei wählt sie als Erzählperspektive die erste Person, läßt das Geschehen konsequent durch Alices Augen wahrnehmen. Daß sie sich dabei des vielgebrauchten Stilmittels des Perspektivenwechsels beraubt, mit Hilfe dessen Spannung durch offene Kapitelenden erzeugt wird, kompensiert sie mit dem Umstand, daß der Leser niemals einen Wissensvorsprung gegenüber der Psychologin gewinnt.

Die Sprache, in der erzählt wird, mutet im Gegensatz zur emotional aufgeladenen Thematik nüchtern und schnörkellos an, stilistisch scheint die Autorin ihren Zenit noch nicht erreicht zu haben. So wirkt die relativ geringe Dichte an Metaphern unbeabsichtigt, Wortwiederholungen irritieren speziell angesichts der Ausbildung der Autorin als Literaturwissenschafterin. Daß ein Teil dieses Eindrucks der (möglicherweise unter Zeitdruck entstandenen) Übersetzung des Romans zuzuschreiben ist, legt auch die Häufigkeit umgangssprachlicher Ausdrücke nahe , die nicht im gesamten deutschen Sprachraum gebräuchlich sind.

Subtil in die Mördersuche findet sich Kritik am kapitalistischen System eingewoben. Banken werden als Festungen, der Londoner Finanzdistrikt als ein Mikrokosmos dargestellt, deren Bewohner von der Außenwelt abgeschottet sind. Sie erkennen ihresgleichen an Uniformen aus teuren Maßanzügen, sie treffen Entscheidungen über zu Zahlenkolumnen abstrahierte Menschen, betrachten Zeitdruck als Statussymbol. Nicht sonderlich neu ist die angesprochene Erkenntnis, daß sich an der Börse ein Vielfaches des Gehalts einer Angestellten in einem Krankenhaus verdienen läßt, lenkt aber die Aufmerksamkeit auf die komplexe Thematik gesellschaftlicher Wertigkeiten. Die Möglichkeit, sich weitaus tiefer in diese zu verbohren, wird jedoch nicht genutzt, sodaß sich der Leser (wohl unbeabsichtigerweise) mit der Frage beschäftigt, ob die Autorin sich selbst der Auseinandersetzung damit verweigert oder der Meinung ist, ihrem Publikum in einem Thriller sie nur oberflächlich zumuten zu können. Wo andere Autoren es genießen, sich über die Ergebnisse ihrer Recherchen mitzuteilen, scheut Kate Rhodes offesichtlich gerade davor zurück: Eine Einführung in die Hierarchie der Engel wirkt halbherzig, der Wissensdurst der Hauptfigur ist wesentlich schneller gestillt als jener der Leser.

Gemeinsam mit dem stilistisch noch offenen Potential bringt diese Sparsamkeit in der Wissensvermittlung den Roman in gefährliche Nähe zu belletristischer Dutzendware, wo derzeit ein bizarrer Wettbewerb um das originellste Motiv des jeweiligen Serienmörders zu beobachten ist.

Fazit:
Wer bereit ist, über sprachliche Unschärfen hinwegzusehen, darf an einer spannenden Mörderjagd in der Sommerhitze Londons mit verhaltener Kapitalismuskritik teilhaben, die jedoch kaum im Gedächtnis verbleiben wird.