Der Wolf im Schafspelz

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
allegra Avatar

Von

=== Hörbuch ===

In ihrem 6. Band der Reihe um das sympathische Ermittlerpaar Pia Kirchhoff und Oliver Bodenstein reißt Nele Neuhaus ein sehr schwieriges Thema an. Es geht um sexuellen Missbrauch an Kindern. Einerseits ist das ein sehr wichtiges Thema, das man nicht totschweigen darf. Andererseits ist es schwierig sexuellen Missbrauch an Kindern in einem Roman so zu thematisieren, ohne dass es in Effekthascherei ausartet, was ich jetzt mit Kindern gar nicht schätzen würde.
Ich weiß nicht in wie weit in der Printausgabe des Buches Beschreibungen der Verbrechen an den Kindern ausgeführt sind. Zumindest im Hörbuch ist das sehr dezent gelöst. Es hat mich natürlich trotzdem betroffen gemacht, aber eine respektvolle Distanz wurde bewahrt, was mir sehr wichtig war. Sonst hätte ich das Hörbuch abgebrochen. Es gibt im Leben noch Gründe genug, schlecht zu schlafen. Da benötige ich nicht auch noch belastende innere Bilder aus meiner Lektüre.
Da das für mich bereits das dritte Buch aus dieser Serie ist, war ich mit den Hauptpersonen aus der Kripo Hofheim K11 bereits vertraut. Da Nele Neuhaus immer mit einer Vielzahl an Figuren aufwartet, hätte ich mich sonst nicht an die Hörbuchversion gewagt. Aber so viel es mir leicht, den Überblick zu wahren.
Obwohl ich diesmal vorher keine Inhaltsangaben oder ausufernde Rezensionen gelesen habe und nicht einmal wusste, dass Kindesmissbrauch drin vorkommt, war mir sofort klar, in welche Richtung die Handlung geht, als von diesem Verein „Sonnenkinder e.V.“ die Rede war. Von daher war die Auflösung leider relativ absehbar. Durch die Wahl unterschiedlicher Erzählperspektiven, weiß der Leser jeweils sehr viel mehr, als die Ermittler und da man davon ausgehen kann, dass die Autorin keine unwichtigen Nebenfiguren und Nebenschauplätze bewirtschaftet, war es nicht wirklich erstaunlich, dass die einzelnen Fälle in einem Zusammenhang stehen. Dennoch empfand ich den Aufbau des Krimis als sehr sorgfältig und beängstigenderweise auch glaubwürdig. Das heißt, eigentlich bin ich da doch noch mehr Optimist. Ich mag nicht hinter jedem sozialen Engagement zugunsten benachteiligter Kinder, gleich Böses wittern und hoffe auch, dass unsere Politiker und höheren Beamten nicht in zwielichtige Machstrukturen verstrickt sind.
Beim Titel „Böser Wolf“ habe ich natürlich einen Bezug zum Märchen erwartet. Einerseits drängt sich natürlich das Bild des Wolfs im Schafspelz auf. Das Märchen vom Wolf und den sieben (bzw. im Buch sechs) Geißlein kommt auch mal am Rande vor. Aber ich hätte etwas mehr von diesem Märchenbezug erwartet.
Abgesehen von zwei oder drei kleineren Punkten, die mir nicht so ganz schlüssig waren, fand ich die Handlung nachvollziehbar dargestellt, spannend und auch gefühlvoll, da wo es passt. Die Personen sind anschaulich und glaubhaft beschrieben, abgesehen von der kleinen Lilli und Hannah Herzmanns Tochter Meike, die mir beide zu einseitig und auch nervig erschienen.

Ich fand sehr angenehm, dass das Privatleben der beiden Ermittler in diesem Band eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt. Ich war auch erfreut, dass Pias Übelkeit am Ende des letzten Bandes nicht zu einem neuen Baby geführt hat, wie ich schon befürchtet hatte.

Die Sprache des Buches ist Alltagssprache mitten aus dem Leben. Der Satzbau ist eher einfach, wirkt aber authentisch und ist angenehm abwechslungsreich und flüssig zum Zuhören.

Die Sprecherin Julia Nachtmann hat diesem Buch ihre Stimme sehr glaubhaft verliehen. Sie schafft es, den verschiedenen Personen Charakter in die Stimme zu lesen, ohne in irgendeiner weise lächerlich zu klingen. Das gelingt ihr sogar bei richtig stämmigen Rockern, was für eine Frau alles andere als selbstverständlich ist. Ich werde auf jeden Fall gerne wieder Hörbüchern von Julia Nachtmann lauschen.

=== Mein Fazit ===

Der böse Wolf hat mir zwar nicht gerade Gänsehautschauer beschert, aber ich habe mich damit dennoch gut unterhalten gefühlt. Ich fand es angenehm, einmal nicht vom eher langweiligen Privatleben der Ermittler zugetextet zu werden und werde beim nächsten Fall auf jeden Fall wieder dabei sein.

Im Vergleich zu anderen Bücher von Nele Neuhaus fand ich diesen Band etwas schwächer. Das Miträtseln hat mir etwas gefehlt. Da mir aber die Lesung von Julia Nachtmann ausgesprochen gut gefallen hat, vergebe ich dennoch 4 von 5 Sternen.