Eine tiefgehende Familienanamnese mit teils philosophischen Gedanken

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christina19 Avatar

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Seine Mutter ist alkoholabhängig, sein Vater depressiv. Sein Großvater ist schizophren, seine Großmutter bipolar, schizophren, alkoholabhängig und hat mehrere Suizidversuche hinter sich. Das Leben und die psychische Gesundheit des Erzählers scheinen vorgezeichnet. Leon Engler begibt sich auf Spurensuche, versucht die Traurigkeit mehrerer Generationen zu verstehen und nachzuempfinden. Was er herausfindet, lässt ihn hinterfragen, wo eigentlich die Grenze verläuft zwischen Normalität und Wahnsinn. Und es lässt ihn Frieden schließen mit der eigenen Familiengeschichte.

Mit seinem Debütroman „Botanik des Wahnsinns“ gibt Leon Engler einen Einblick in seine Familiengeschichte und den Verlauf seines eigenen Lebens. Dabei verfolgt er die Spuren seiner Vorfahren weit zurück, wobei in dem Buch vor allem seine Eltern und Großeltern in den Fokus gerückt werden. In Ich-Perspektive erzählt der Autor von deren psychischen Erkrankungen. Er beschreibt die Symptome und welchen Einfluss diese auf das Leben der Betroffenen hatten: Die Mutter rutschte in Schulden, verlor ihre Wohnung und war mehrmals auf Entzug. Der Vater zog sich immer mehr zurück, verbrachte Tage, wenn nicht Wochen im Bett und hatte kaum mehr soziale Kontakte. Leon Engler, der selbst Psychologie studiert hat und in einer psychiatrischen Klinik arbeitete, sieht jedoch nicht nur die Diagnose, sondern auch die Menschen dahinter. Er hört zu und versucht zu verstehen, wie seine Patienten und seine Familienmitglieder zu denen geworden sind, die sie sind. Die Gedanken, die er dazu niedergeschrieben hat, sind sehr tiefgreifend und teils philosophisch. Immer wieder nimmt der Autor Bezug auf Freud, Nietzsche und weitere Personen, die sich mit Menschen und deren geistiger Gesundheit, dem „Wahnsinn“, befasst haben. Seine Quellen listet Leon Engler im Anhang des Buches auf, was aus meiner Sicht zeigt, wie intensiv und mit welcher Ernsthaftigkeit er sich mit dem Thema befasst hat. Er wirft außerdem einen Blick auf sein eigenes Leben. Immer wieder ist er vor seinem Schicksal geflohen, erst nach New York, dann nach Paris, später nach Wien, bis er sich schließlich der Familiengeschichte stellte. In insgesamt 46 kurzen Kapiteln, die sich rasch lesen lassen, erzählt er davon. Dazwischen gibt es stetige Zeitsprünge vor und zurück, was für mich anfangs etwas gewöhnungsbedürftig war, dann aber viel Abwechslung in den Roman brachte. Ich mochte dieses Buch sehr gerne und werde es garantiert noch einmal lesen!