Mir fehlte das Persönliche in der Story

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winniehex Avatar

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Mich hat das Buch zunächst durch seine ansprechende Optik neugierig gemacht. Als ich dann den Klappentext und die Leseprobe gelesen hatte, war ich positiv überrascht und fühlte mich sofort angesprochen. Ich arbeite selbst mit psychisch erkrankten Menschen und empfinde dieses Feld als sehr spannend, was mir beim Einstieg ins Buch eine gewisse Nähe verschaffte. Die ersten Seiten konnte ich daher mühelos lesen und dachte mir mehrfach: „Ja, das kenne ich.“
Mit der Zeit empfand ich jedoch die vorherrschende Melancholie als zu schwer, ebenso die ständigen Selbstzweifel und Fragen an den eigenen Berufsweg, die sich sehr deutlich in der Erzählweise widerspiegeln. Irgendwann stellte ich mir die Frage, warum jemand Psychologie studiert, wenn er gar nicht das Ziel verfolgt, dauerhaft in diesem Bereich zu arbeiten. Die Verbindung von Neugier an familiären Erkrankungen und gleichzeitig der Angst, selbst betroffen zu sein, wurde zwar nachvollziehbar beschrieben, aber für mich blieb der innere Konflikt an vielen Stellen zu blass. Gerade die typische, fragende Kindheitserfahrung kam nicht wirklich zum Ausdruck – vielmehr schien das Geschehen hingenommen zu werden, was ich mir nur schwer vorstellen konnte.
Auch die Darstellung der Liebeswelt wirkte für mich eher philosophisch als realitätsnah. Insgesamt empfand ich die Geschichte zu stark psychologisch-philosophisch aufbereitet und zu wenig emotional greifbar. Besonders im Hinblick auf die Familiengeschichte hätte ich mir mehr persönliche Nähe, mehr Gefühle und weniger Distanz gewünscht. Die Schilderungen der Erkrankungen waren zwar treffend und gut nachvollziehbar, ähnelten jedoch dem, was man auch in Fachliteratur findet (was bereits von mehreren Leser/innen empfunden wurde).
Alles in allem halte ich das Buch für lesenswert, auch wenn ich mir mehr Authentizität und Nähe zur persönlichen Ebene erhofft hätte. Gerade durch eine emotionalere Erzählweise hätte die Geschichte noch intensiver und eindringlicher wirken können. Trotzdem bietet das Buch interessante Denkanstöße und öffnet den Blick für die innere Auseinandersetzung mit Krankheit, Berufung und Identität.