Vom fatalen Erbe psychischer Erkrankungen
Leon Englers namenloser Icherzähler tritt seinen ersten Arbeitstag als Psychologe auf der psychiatrischen Station einer Klinik an und soll sich zur Einarbeitung selbst als Patient aufnehmen: Patientenakte, Familienanamnese, Diagnose, Behandlungsplan. Arbeite, handele verantwortlich und frage deine Patienten, was sie wollen, fordert ihn die leitende Psychologin auf. Mit seiner Vorgeschichte von Eltern (geboren 1957 und 1962) und Großeltern, die an Depressionen litten, manisch, bipolar, psychotisch und suchterkrankt waren, hat er rein statistisch ein erhöhtes Risiko, dem „Fluch der Ahnen“ zu folgen und selbst psychisch zu erkranken. In Rückblenden entsteht eine Familiengeschichte der Süchte und Wahnvorstellungen, die den Erzähler zur Erkenntnis leitet, psychische und Suchterkrankungen entständen u. a. innerhalb von Beziehungen, unter prekären Lebensumständen und durch Ausgrenzung; die Kategorien, in die seine Vorfahren eingeordnet waren, würden Menschen nicht gerecht. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Gefährdung erfolgt mit den Kommentaren eines gebildeten und belesenen Wohnungsnachbarn im Ohr, der Englers Erzähler auffordert, keine Fachbücher zu lesen, sondern Romane, schließlich würden Schriftsteller öfter psychisch erkranken als der Bevölkerungsdurchschnitt.
Fazit
Neben einem gehörigen Maß an Psychiatriekritik und zahlreichen Literaturverweisen setzt sich Englers Psychologenfigur mit dem Schicksal von Kindern auseinander, die sehr jung ihre Eltern in der Psychiatrie besuchen mussten und selbst zu Eltern werden, die von ihren Kindern in der Psychiatrie besucht werden. Die Beschränkung auf die Perspektive des Erzählers fand ich eher unbefriedigend, weil sie sein Berufs-Ich samt einer evtl. Selbstanalyse weitgehend ausspart und sich auf seine Rolle als Sohn und Enkel beschränkt. Ob der Text autofiktional sein könnte, bleibt offen.
Fazit
Neben einem gehörigen Maß an Psychiatriekritik und zahlreichen Literaturverweisen setzt sich Englers Psychologenfigur mit dem Schicksal von Kindern auseinander, die sehr jung ihre Eltern in der Psychiatrie besuchen mussten und selbst zu Eltern werden, die von ihren Kindern in der Psychiatrie besucht werden. Die Beschränkung auf die Perspektive des Erzählers fand ich eher unbefriedigend, weil sie sein Berufs-Ich samt einer evtl. Selbstanalyse weitgehend ausspart und sich auf seine Rolle als Sohn und Enkel beschränkt. Ob der Text autofiktional sein könnte, bleibt offen.