Inklusive völlig überflüssiger "Zweitgeschichte"

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
laberlili Avatar

Von

Kindesmissbrauch, in Zusammenhang mit Kinderpornografie, spielt in diesem Roman eine absolut wesentliche Rolle: dessen sollte man sich bewusst sein. Mir war angesichts der Buchbeschreibung zwar klar, dass hier Kindern sehr übel mitgespielt werden würde, aber mitunter habe ich mich angesichts einiger Szenen (die z.B. die Perspektive eines Täters beleuchten, der die von ihm an Kindern begangenen Verbrechen „schönredet“) schon nicht nur angewidert, sondern auch überfordert, gefühlt. Da sollte man sich definitiv vor dem Lesen darüber klar werden, wie gut man diese Thematik verdauen kann (und ggf. einfach etwas Anderes lesen).

Zudem wird man hier quasi direkt ins kalte Wasser geschmissen: Man ist von Anfang an so sehr mittendrin, dass ich zwischendurch sogar nachgeschaut habe, ob es zuvor schon andere Romane rund um Sina Claasen gegeben hat, da es von der Erzählung her mitunter so wirkte als nähme man an, dass das Lesepublikum mit dieser Figur und vor Allem ihren Eigenheiten längst vertraut sein müsste. Sina Claasen verkörpert das, inzwischen leider schon fast stereotypische Bild, einer taffen Polizistin, deren Erfolg allzu häufig darauf basiert, sich über Anweisungen hinwegzusetzen und komplette Alleingänge durchzuführen. Da ging für mich nun ihr Kollege Eric auch völlig unter, der sowas wie ihr „Partner“ sein soll, ihr aber in dieser Geschichte hauptsächlich hilflos hinterherläuft und von Sina für seinen Frauengeschmack verurteilt wird: nachdem sie sich frühzeitig über sein Techtelmechtel mit einer ihr nicht genehmen Kollegin ausgelassen hat (und zwar „als die Tochter von…“, was mir völlig unverständlich blieb, denn während es bei Sina so klang als fuße die Karriere besagter Kollegin ausschließlich auf Vitamin B, hat jene professionell permanent sowas von abgeliefert), hatte ich über viele Seiten hinweg das Gefühl, dahinter stecke ein Eifersuchtsdrama und war einigermaßen überrascht, dass Sina eben NICHT von ihrem Mann getrennt lebte.
Aber natürlich musste Sina quasi über das gesamte Kollegium herziehen: Schon bald deutet nämlich Einiges darauf hin, dass jemand aus Polizeikreisen in den Fall verwickelt sein muss und vermutlich einen Pädophilenring innerhalb der Hamburger Elite schützt. Wahrscheinlich sollte dadurch, dass Sina nahezu alle um sie herum als unerträglich schilderte, eine Masse an falschen Spuren ausgelegt werden, denn so ließen sich natürlich alle leicht verdächtigen. Ich gebe zu, dass ich hier auch bereitwillig jeden Irrweg beschritten habe, aber letztlich war mir Sina ebenfalls unfassbar unsympathisch.
Eine Buchreihe rund um sie bedürfte es für mich da definitiv nicht.

Der Fall war extrem, lud zum Miträtseln ein und generell war „Braves Kind“ sehr kurzweilig zu lesen; der Teil rund um den „echten“ Fall hat mich da wirklich in den Bann gezogen.

Allerdings gab es da auch noch einen Nebenstrang, der sich um Sinas Schwester drehte, deren Lebensumstände in krassem Gegensatz zu Sina standen: Sie wurde als „heiße Braut, die nichts anbrennen ließ“ geschildert, gerne kokste und sehr viel Party machte und noch dazu ein Verhältnis mit einem der größten Gaunerbosse der Stadt unterhielt – und sich grade so richtig in die Scheiße geritten hatte, weil sie jenem „versehentlich“ ein fettes Drogenpäckchen geklaut hatte.
Dieser Strang erschien mir völlig überzogen (klar, Sina, du legst dich als eigensinnige Polizistin grade mit der sogenannten Crème de la Crème der Hamburger Gesellschaft an, während deine Schwester als zugedröhnte Gangsterbraut die Bosse der dortigen Unterwelt battlet?!) und während er vermutlich zum Ziel hatte, zu zeigen, dass es nicht nur Kinderschänder gab, habe ich mich bald gefragt, ob es irgendwo in Hamburg überhaupt auch noch die einfach nur netten Menschen von nebenan gäbe. Das war mir persönlich definitiv zu viel und in meinen Augen hätte es dem Buch absolut gutgetan, hätte man diesen Teil, der zudem mit der Hauptgeschichte eh nix groß zu tun hatte, völlig weggelassen oder ihn zumindest in einem eigenständigen Roman, ganz für sich stehend, verwurstet. So trug er in meinen Augen nur dazu bei, einmal mehr zu zeigen, dass in „Braves Kind“ nahezu jede Figur irgendwelche Klischees bediente.
Um „Braves Kind“ durch und durch zu mögen, sollte man meiner Meinung nach schon ein Faible für bizarre Geschichten mit zahllosen exaltierten Figuren haben.

Ich habe diesen Roman nun nicht ungerne gelesen, der Puppen/Video/Morde-Part hat definitiv mein Interesse hochhalten können, aber hernach brauchte ich nun unbedingt erst einmal wieder was „Ruhigeres“.