Dunkle Orte in einem komplexen Psychospiel

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marionhh Avatar

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Als ihrem Versetzungsantrag nach Dresden stattgegeben wird, will Hauptkommissarin Nicole Schauer am liebsten gleich wieder weg: Ihr neuer Kollege Felix Bruch wirkt desinteressiert und abwesend, die anderen halten sie für einen Besser-Wessi und der neue Fall um ein verschwundenes Mädchen, den sie gleich aufs Auge gedrückt bekommt, hat es in sich. Zudem ist sie nach überstandener Krebserkrankung und neuem Status als Single mit sich und der Welt längst nicht im Reinen. Gut, dass sie gleich um Rückversetzung gebeten hat!

Ein sonderbares Ermittler-Pärchen, das uns da präsentiert wird. Beide bei Weitem keine reinen Sympathieträger und mit äußerst zweifelhaften Ermittlungsmethoden. Die scheinbar einzige Gemeinsamkeit, die einem gleich ins Auge fällt, ist beider psychische Angeschlagenheit, die zwar jeweils andere Ursachen hat und sich auch völlig unterschiedlich auswirkt, die aber zeigt, wie verletzt und verletzlich sie sind. Das Zusammenraufen geht denn auch sehr schleppend voran und als Leser ist man skeptisch, was den Erfolg betrifft, sowohl den der Annäherung als auch den der Ermittlung.

Der Fall selbst erweist sich nach anfänglich scheinender Routinearbeit als zunehmend komplexes Konstrukt mit Ursprüngen in der Vergangenheit. Die Betroffenen, ob Zeugen, Opfer oder Verdächtige, geben wenig Hilfreiches preis und haben alle etwas zu verbergen. Bruch und Schauer sind in ihrer Arbeit so unterschiedlich wie in ihrem Wesen, sie voranpreschend und emotional, geradlinig und Fragen stellend, er in sich gekehrt und beobachtend, mitunter komplett emotionslos. Wo Schauer aggressiv wird, ist Bruch desinteressiert, wo Schauer losläuft, bleibt er stehen und lässt alles erst einmal auf sich wirken. Und dennoch ist ihnen gemein, dass sie sich in den Fall reinhängen und ihn um jeden Preis lösen wollen. Beiden ist es auch ein persönliches Anliegen, dessen Ursache sich nach und nach offenbart.

Dank des unglaublich eingängigen Schreibstils, der tiefsinnigen Charakterisierung seiner Figuren und einem packenden Fall, der sich als komplexer erweist als gedacht, gelingt es dem Autor, den Leser sofort zu fesseln. Geschickt erzählt er die Geschichte in teilweise abrupten Perspektivwechseln, wobei man äußerst tiefe Einblicke in das Seelenleben der beiden Protagonisten erhält und ihr Verhalten nachvollziehen kann. Sie nehmen sich, ihre Umgebung und ihre Mitmenschen sehr unterschiedlich wahr und kommentieren das Handeln des anderen in Gedanken, Schauer zynisch, Bruch genervt. Nur schwer kommt ein Dialog in Gange, und Schauers misstrauisches Wesen zweifelt zudem an Bruchs Zuverlässigkeit. Unter diesen Umständen kann von einem Zusammenraufen auch erst einmal nicht die Rede sein, beide sind Einzelgänger und lassen sich schwer auf andere Menschen ein. Dennoch findet schließlich und unbegreiflicherweise eine leise Annäherung statt, mehr als einmal reagiert Bruch Schauer zuliebe, antwortet auf ihre Fragen, hilft ihr, wenn sie Angst hat. Und Schauer kommt nach und nach dahinter, was mit Bruch los ist, hinterfragt seine Gedankengänge und wägt sie ab und reagiert dabei durchaus einfühlsam. Zudem decken sich beide gegenüber ihrem Vorgesetzten, setzen sich als Team also über die Vorschriften und erkennen die Lösungsansätze des anderen an. Der Fall gerät bei aller Problematik nie in den Hintergrund, sondern steigert sich in der Spannung bis zum finalen Showdown.

Fazit: Sehr gelungener Einstieg in die neue Krimireihe, deren dunkle Orte in der Umgebung, aber mehr noch in der Psyche der beiden Protagonisten zu finden sind. Ich sehe gerade in den Beschreibungen der Charaktere die große Stärke, auch die anderen Figuren sind vielschichtig und komplex, und gerade die Zerrissenheit und Versehrtheit von Bruch und Schauer und ihr Zusammenspiel sind spannend und mitunter auch rührend. Zusammen mit dem verschachtelten Fall, in dem nichts ist wie es scheint, ergibt das eine perfekte Mischung und einen fesselnden Psycho-Krimi.