Unerwartet gruselig

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Hauptkommissarin Nicole Scheuer hat kaum ihre neue Dienststelle in Dresden angetreten, schon wird ihr ein akuter Vermisstenfall zugewiesen. Zusammen mit ihrem Kollegen Felix Bruch soll sie sich darum kümmern, die zwölfjährige Celina Kühn zu finden, die seit kurzem verschwunden ist. Einen Anhaltspunkt könnte das Nachbarsmädchen Linda geben, das vor zwei Jahren ebenfalls verschwunden war, jedoch nach zwei Wochen zwar abgemagert, aber unversehrt auftauchte. Doch die Eltern schirmen das Mädchen ab, niemand weiß, wo Linda damals gewesen ist. Scheuer und Bruch stoßen auf eine Wand des Schweigens, doch die Jugendlichen im Ort lassen immer mehr den Verdacht aufkommen, dass alles mit einem alten, halb verfallenen Dreiseitenhof zu tun hat, in dem es spuken soll, seitdem die alte Gessner dort tot aufgefunden wurde. Bei den Jugendlichen gilt es als Mutprobe, den Hof des Nachts zu besuchen und Nicole Scheuer wird bald erfahren, warum.

Mit Nicole Scheuer und Felix Bruch gibt es ein neues deutsches Ermittlerduo, und zwar ein recht ungewöhnliches. Die beiden Polizisten finden kaum Zugang zueinander, was wohl vor allem darauf zurückzuführen ist, dass Felix Bruch unzugänglich, eigen und wortkarg auftritt. Bei Scheuer, die mit ihren eigenen Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen hat, stößt dies zunächst auf Frustration und das Gefühl, immerzu kämpfen zu müssen. Meist befindet sich der Leser eher bei Scheuer, Einblicke in das Innenleben der Titelfigur Felix Bruch gibt es eher selten. Es bleibt auch verborgen, worin genau sein Problem liegt.

Frank Goldammer, der mit seinen historischen Dresden-Krimis mit Kriminalinspektor Max Heller bekannt geworden ist, hat mit “Bruch” einen psychologisch interessanten und wahnsinnig spannenden Krimi geschrieben. Aus dem Ermittlerteam Bruch und Scheuer ergibt sich jede Menge Dynamik, auch wenn ich mich frage, ob die beiden im “echten Leben” nicht ständig suspendiert wären. In einem Job, in dem es darauf ankommt, sich auf seinen Partner verlassen zu können, ist Bruch eindeutig falsch. Er macht sein eigenes Ding, kommuniziert kaum, scheint aber seine absoluten Stärken in der Ermittlungsarbeit zu haben. Er hat den richtigen Riecher, auch wenn selten klar ist, wie er zu seinen Schlüssen kommt. Es wirkt manchmal, als würde er Dinge wahrnehmen, die anderen verborgen bleiben. Scheuer hingegen ist aufbrausend, unbeherrscht und schnell mit der Faust dabei. Da gibt es nicht nur blutige Nasen. An Action mangelt es dem Krimi jedenfalls nicht.

Tatsächlich hat mich der Krimi sehr schnell gefesselt. Man begleitet durchgehend die beiden Polizisten bei der Ermittlungsarbeit, die zugegebenermaßen etwas ungewöhnlich ist. Routine oder gar Langeweile kommen jedoch nicht auf. Die Hinweise verdichten sich, ändern ab und an die Richtung und die Spannung wird schier unerträglich. Besonders an die Nerven gehen die Szenen, die sich nachts in dem alten Hof abspielen. Hier kann man die Angst förmlich riechen und den knisternden Nervenkitzel kaum ertragen.

Gleichzeitig fragt man sich natürlich die ganze Zeit, was es eigentlich mit Felix Bruch auf sich hat. Ist er psychisch krank, neurodivergent oder posttraumatisch belastet? Nicole Scheuer versucht, dem auf den Grund zu gehen, findet manchmal fast so etwas wie einen Zugang zu ihm, kommt jedoch nicht weit.

Da “Bruch – Ein dunkler Ort” der Auftakt zu einer neuen Reihe ist, der sich für mich überraschend zu einem wahren Pageturner entwickelt hat, bin ich mir sicher, dass ich den nächsten Band auch lesen möchte. Mich würde wirklich interessieren, wie die beiden im nächsten Kriminalfall ihrer Suspendierung entgegensteuern, wie viele blaue Augen und gebrochene Nasen Nicole Scheuer hinterlässt und ob wir noch erfahren, was genau die Tabletten bewirken, die Felix scheinbar geradezu betäuben. Wann geht es weiter?

© Tintenhain