Eindringlich und brutal: Oliver Lovrenskis beeindruckendes Debüt

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In seinem autobiografisch geprägten Debütroman „bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann“ erzählt Oliver Lovrenski die Geschichte einer Gruppe Jugendlicher, die zwischen Gewalt, Drogen und Kriminalität nach Zugehörigkeit und Identität suchen. Der norwegische Autor, geboren 2003, wuchs in Oslo als Sohn einer Kroatin und eines Norwegers auf und schrieb Teile des Romans auf seinem Handy. Sein Buch wurde vielfach ausgezeichnet, monatelang auf Bestsellerlisten geführt und in 15 Sprachen übersetzt. Der Roman wurde von Karoline Hippe ins Deutsche übersetzt.

Worum geht’s genau?

Ivor, Marco, Jonas und Arjan sind junge Männer, die in Oslo aufwachsen, aber keinen Platz in der scheinbar perfekten Gesellschaft finden. Sie leben am Rand der Stadt und der Gesellschaft – ihre Eltern sind kaum präsent, die Polizei und das Jugendamt immer in ihrer Nähe. Die Schule ist für sie keine Option, stattdessen verbringen sie ihre Zeit in heruntergekommenen Einkaufszentren, auf der Straße oder in selbstgebauten Fitnessstudios. Zwischen Drogen, Gewalt und dem ständigen Gefühl, nicht dazuzugehören, halten sie sich gegenseitig fest – ihre Freundschaft ist ihr Anker. Doch als einer von ihnen zu weit geht, droht ihr zerbrechliches Gefüge endgültig auseinanderzubrechen.

Meine Meinung

Schon der Klappentext hat mich sofort angesprochen, da ich selbst in der Jugendarbeit tätig bin und das Thema soziale Ausgrenzung mich sehr interessiert. Das Buch hat mich direkt in seinen Bann gezogen – aber es hat auch einige Herausforderungen mit sich gebracht.

Der Schreibstil ist sehr gewöhnungsbedürftig: Lovrenski schreibt ausschließlich in Kleinschreibung und nutzt eine rohe Jugendsprache, die zunächst ungewohnt ist. Für einige Leser:innen könnte das abschreckend wirken, doch es trägt stark zur Authentizität des Romans bei. Wer Schwierigkeiten mit bestimmten Begriffen hat, findet im hinteren Teil des Buches ein hilfreiches Glossar. Ich persönlich mochte diese sprachliche Gestaltung sehr, da sie das Gefühl verstärkt, direkt in die Lebensrealität der Figuren einzutauchen.

Besonders beeindruckt hat mich die emotionale Wucht, mit der Lovrenski schreibt – umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass er gerade einmal 20 Jahre alt war, als das Buch erschien. Der Roman erzählt von Jugendlichen, die keine Chance auf Integration haben, sei es aufgrund ihres Migrationshintergrunds oder ihrer Herkunft aus einem sozioökonoomisch schlecht ausgestatteten Milieu. Es geht um Zugehörigkeit, Identität, Freundschaft, Gewalt, Drogen, Rassismus und die Suche nach Halt in einer Gesellschaft, die sie nicht auffängt.

Der Erzählstil wirkt bruchstückhaft – fast wie eine Sammlung von Erinnerungen oder Momentaufnahmen. Die kurzen Kapitel (oft nur eine Seite lang) treiben das Tempo voran und verstärken das Gefühl von Rastlosigkeit, das die Figuren umgibt. Diese fragmentierte Struktur macht das Buch einzigartig, könnte aber für einige Leser:innen ungewohnt oder herausfordernd sein.

Trotz der harten Themen gibt es immer wieder Momente von Wärme und sogar Humor, die die Geschichte auflockern und die Figuren noch greifbarer machen. Lovrenski schreibt authentisch, direkt und ohne Beschönigung – man spürt, dass er selbst aus diesem Milieu stammt und genau weiß, wovon er spricht.

Fazit

„bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann“ ist ein intensiver, roher und eindringlicher Roman, der den Leser:innen einen schonungslosen Einblick in das Leben von Jugendlichen gibt, die in unserer Gesellschaft oft übersehen werden. Der unkonventionelle Schreibstil und die fragmentarische Erzählweise könnten nicht jedem/jeder zusagen, doch gerade diese Elemente machen das Buch so einzigartig. Lovrenski gelingt es, Härte und Verletzlichkeit miteinander zu verbinden und eine Geschichte zu erzählen, die lange nachhallt. Von mir gibt es 4 von 5 Sternen – eine klare Leseempfehlung.