Dramatisch und spannend, aber leider berührt es mich nicht

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mangomarina Avatar

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Henriette scheint nicht so ganz in unsere Welt zu passen. Was sie in ihrem Leben erlebt hat, zwang sie, sich zurück zu ziehen. Es sind Regeln und Strukturen, die ihr Halt geben, andere Menschen meidet sie. Nur ihrem Hund Dave, der auch seine Eigenheiten mitbringt, lässt sie an sich ran. Ihre Gefühle hält sie tief in sich verborge, zu Sentimentalitäten neigt sie nicht. Die perfekten Voraussetzung für ihren neuen Job im Café Leben. Es gehört zur Rosendale-Krebsambulanz, ihre neue Aufgabe ist es, Lebensbücher zu erstellen. Todkranke Menschen erzählen ihre Geschichte - Für sich selbst, oder für Angehörige - und im Cafè Leben werden Bücher daraus gemacht.

“Ihrer Erfahrung nach sind Witze wie Bälle, die einem in hohem Tempo zugeworfen werden: schwer zu fangen und noch schwerer zurückzuspielen.”

Auch wenn es ein Vorteil ist, dass Henriette bei den Geschichten nicht wie ihre Vorgängerin weint, machen es ihr ihre sozialen Schwierigkeiten nicht immer leicht. Ihre größte und wichtigste Aufgabe ist die Geschichte der exzentrischen Annie. Annie ist 66 und hat keine Angehörigen, für die sie das Buch möchte. Sie lebt mit furchtbaren Erinnerungen und blickt voller Reue auf ihr Leben zurück. Ihr letzter Wunsch ist es, diese Dinge auszusprechen und hinter sich zu lassen, um in Frieden sterben zu können.

“Jedenfalls fühlt es sich ganz ähnlich an, wenn sie nach alten Erinnerungen gräbt: So weit wie möglich streckt sie die Hände aus, um die frühsten, glücklichsten zu erreichen, aber sie kann sie nicht finden. Bei jedem Versuch schließen sich ihre Finger um etwas Scheußliches, das dichter an der Oberfläche ist.

Nach einem holprigen Start beginnt Annie zu erzählen, scheint aber Dinge zu verschweigen. Henriette, die an ihre eigenen Kämpfe erinnert wird, kann das alles nicht so stehen lassen. Das große Geheimnis, dass Annies Leben bestimmte, muss gelüftet werden und sie möchte Annie Antworten liefern. Neben einer spannenden Suche, entsteht auch eine Freundschaft zwischen den, auf den ersten Blick, sehr unterschiedlichen Frauen. Inhaltlich möchte ich gar nicht zu sehr auf die Traumata, die beide mit sich tragen eingehen, der Klappentext ist da auch seeehr zurückhaltend. Aber damit ihr bescheid wisst, worauf ihr euch einlasst: Es geht um den Tod und das verschwinden von Kindern und um Gewalt in Partnerschaften. Die ganze Geschichte ist ziemlich düster und wer mit Leichtigkeit und einer kurzweiligen Story rechnet, wird enttäuscht.

Die Story an sich hatte wirklich starke Momente. Der Beginn war gut, ich mochte Henriette auf Anhieb und war gespannt, was hinter Annies Geschichte und Henriettes Traurigkeit liegt. Leider verliert die Geschichte dann immer mehr an Tempo und die Charaktere sind immer schwerer greifbar. Der Mittelteil plätschert vor sich hin und auch wenn hier wirklich krasse Themen behandelt werden und beide Frauen einiges durchgemacht haben, konnte mich das Buch einfach nicht packen oder berühren. Ich bin bei Büchern eigentlich sehr nah am Wasser gebaut, dieses lies mich aber kalt.

Am Ende wurde dann noch mal Gas gegeben und alles ausgepackt. Plötzlich wurde es noch mal spannend, leider immer noch nicht wirklich berührend. Die Idee hinter der Geschichte ist wirklich gut und durch den angenehmen Schreibstil lies es sich dann trotz der Längen ganz gut lesen.

“Aber in den vielen Stunden im Café Leben hat Henriette gelernt, dass die Gesprächspausen, die Momente, in denen die Menschen verstummen, genauso wichtig sind, wie die Worte, die sie aussprechen.”

Ich hätte das Buch so gern so richtig gemocht, vor allem, weil mir auch Henriette auf Anhieb so gut gefallen hatte. Sie zeigt, wie liebenswert Eigenheiten sein können und dass es immer Menschen gibt, die diese zu schätzen wissen, wenn man den Mut aufbringt, sich zu öffnen.

Café Leben lebt von der einzigartigen Prämisse und einem besonderen Rätsel. Der Fokus liegt für mich mehr auf der Story und den kleinen Twist, das Herz fehlt aber leider einfach.