Ein vielversprechendes Debüt

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Bei „Café Leben“ handelt es sich um das Debüt der Londoner Autorin Jo Leevers, die inspiriert vom Krebstod ihrer Mutter, der ihrer Mutter nicht mehr ausreichend Zeit ließ noch all die unbekannten Geschichten zu erzählen, sich dem Thema von Lebensgeschichten anzunehmen. Das Buch erscheint heute, am 02.11.2022 im Droemer Verlag und kostet als gebundene Ausgabe bei 320 Seiten 20,00 Euro.
Henrietta war mir anfangs nicht gerade sympathisch, vermutlich gerade wegen ihrer scheinbaren Distanz zu anderen Menschen und ihrem Gedanken, dass gerade das sie zur Schreiberin von sogenannten Lebensgeschichten prädestinieren würde. Nach und nach wurde offensichtlich, dass sie ganz dem Typ „harte Schale, weicher Kern“ entspricht und sie ihre eigene verschwiegene und vielleicht sogar verdrängte Geschichte zu einem Außenseiter machte, der sich anderen nur schwer öffnen konnte.
Nach Anweisung der Organisation, die diese Lebensbücher erstellt, hat dies nach ganz bestimmten Kriterien innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens zu geschehen und müssen Punkte wie Kindheit, Jugend, etc. Punkt für Punkt abgehakt werden. Henrietta erkennt schnell, dass dieses Vorgehen nicht für alle passend erscheint. Was wenn Kindheitserinnerungen nicht das zentrale Thema sind, das der Sterbende der Nachwelt erzählen und hinterlassen möchte?
Es war wunderbar zu erleben, wie Henrietta Annie im Verlauf ins Herz schloss und sich auf eigene Kosten aufmachte, das Geheimnis um Annies vor 46 Jahren verstorbenen Schwester Kathleen zu lüften. Hier hat die Autorin ein ganz zartes, aber tiefes Band der Freundschaft zwischen Henrietta und Annie entstehen lassen, das zu Herzen geht und den Leser stellenweise, ohne ins Kitschige abzudriften, zu Tränen rührt.
„Café Leben“ ist ein gelungenes Debüt, ein Buch fürs Herz an gemütlichen Herbstabenden, dass auf weitere tolle Bücher aus der Feder Jo Leevers hoffen lässt. Auf 320 Seiten entrollt sich eine rührende und bewegende Geschichte um die Freundschaft zweier unterschiedlicher Frauen, die eines gemeinsam haben, nämlich dass sie es zugelassen haben, dass traumatische Erlebnisse sie zum Schweigen statt zum Reden brachten und so ihre Leben in eine ganz andere Richtung verliefen, als sie es vermutlich getan hätten, hätte man den Mantel des Schweigens gelüftet.
Mich persönlich hat das Buch zum Nachdenken angeregt. Was macht mich aus? Welche Dinge und Erlebnisse haben mich geprägt und die Weichen meines Lebens in eine bestimmte Richtung gestellt? Was würde es der Nachwelt erleichtern, mich im Nachhinein mit meinen Spleens und Kanten zu verstehen, nachzuvollziehen warum ich bin, wer ich bin?
Zur absoluten Begeisterung hat es trotzdem nicht ganz gereicht, dazu war mir Henrietta über zu lange Zeit nicht wirklich greifbar. Ich konnte nachvollziehen, warum sie anders war und woher ihre Probleme rührten, aber anders als bei Annie, war es nicht wirklich fühlbar. Trotz diesem kleinen Kritikpunkt ist es eine bewegende Geschichte und bekommt eine Leseempfehlung für alle, die gerne stillere Romane lesen, die sich der tieferen Themen des Lebens annehmen.