Leerlauf und Vergeudung

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gkw Avatar

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Henrietta, die bisher wenig Erfolge in ihrer beruflichen Laufbahn vorzeigen kann, bekommt einen Job beim "Projekt Lebensbuch". Hier soll sie in jeweils sieben Sitzungen mit todkranken Patienten deren Lebenserinnerungen festhalten, um sie dann als ein "Lebensbuch" fertigzustellen, das Angehörige und Freunde des Patienten erhalten sollen. "Jeder Mensch hat eine Geschichte - und diese Lebensgeschichte sollte erzählt werden." verbreitet der Initiator dieses Projektes über die Medien.
Bei der ersten Patienten trifft Henrietta auf die 66jährige Annie, die ihr nur "gefilterte" Informationen gibt. Über den Tod ihrer Schwester mit knapp 18 Jahren will sie nicht sprechen, doch hat dieser Vorfall ihr Leben überschattet. Da ist Henriettas Ehrgeiz geweckt und sie beginnt zu recherchieren. Es bleibt nicht aus, dass auch ihre eigenen Erinnerungen an einen Vorfall, der ihr Leben veränderte, nicht länger unterdrückt werden können.

Hört sich etwas kitschig an, ist es aber nicht.
Da treffen zwei Frauen aufeinander, die offenbar beide etwas Ordnung in ihre Lebensbücher bringen müssen.
Henrietta, 32, bisher beruflich absolut erfolglos, lebt zurückgezogen mit ihrem etwas gestörten, sie hat keinerlei soziale Bindungen.
Annie war mit dem Leben, das sie geführt hat, nicht zufrieden und nun ist es fast vorbei.
Die eine hat ein Leben im Stillstand, die andere hat aus eigener Sicht ihr Leben vergeudet und beendet es nun bald.

Obwohl bei dieser Geschichte eine große Gefahr besteht, dass das Ganze zu rührselig oder zu deprimierend wird, ist es der Autorin gut gelungen, auf eine lakonisch-schnoddrige Art zu erzählen, die etwas Humor durchblitzen lässt, gut zu lesen ist und dem Thema und den beiden Frauen doch gerecht wird.
Da gibt es dann schöne Szenen, wenn Henrietta Einfühlungsvermögen vor dem Spiegel übt, vergeblich versucht, über ihren merkwürdigen Hund soziale Kontakte herzustellen oder folgende Art lakonischer Erzählweise.
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"Es kam mir so sinnlos vor, einen ganz alltäglichen Job zu machen, verstehen Sie?"
Henrietta nickt; sie kennt sich gut aus mit sinnlosen, enttäuschenden Jobs.
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Die Geschichte wird mit Perspektivwechsel aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt, so dass man eine gute Vorstellung von Henriettas und auch Annies Gedanken bekommt.

Das Buch handelt von falschen Entscheidungen, schlimmen Eltern, Einsamkeit, Krankheit und Tod und vom Vergeuden des Lebens. Das wird kitschfrei mit viel Einfühlungsvermögen erzählt und trotz all der schlimmen Themen ist es doch irgendwie ein Wohlfühlroman.

Lobend hervorheben möchte ich, dass die Seitenränder oben und seitlich deutlich kleiner waren, als bei anderen Büchern, da gibt's also mehr Text pro Seite, fand ich gut. Interessant waren auch das Nachwort und ein Gespräch mit der Autorin am Ende des Buches.
Nichts anfangen konnte ich mit dem Cover. Optisch schönes Bild, aber kein Bezug zum Buch oder den Protagonistinnen.