Riss mich leider nicht vom Hocker

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buecherjaeger Avatar

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Da meine Mutter in einem Hospiz arbeitet, waren der Tod und das Sterben bei uns zuhause nie ein Tabuthema. Im Gegenteil: Es war beinahe gang und gäbe, am Esstisch darüber zu sprechen.
Daher war mir sofort klar, dass ich dieses Buch lesen muss, als ich den Klappentext las. Ein Highlight stand an. Dachte ich jedenfalls.

Ich habe eine etwas distanzierte Protagonistin, die etwas verbirgt, sowie eine sympathische ältere Dame als ihre Klientin erwartet. In Ansätzen bekam ich das auch, aber leider nicht vollends.
Ich finde, der Klappentext suggeriert, es gäbe viele Dialoge, die Handlung drehe sich in erster Linie um Gespräche, die Henrietta und die alte Dame führen, während derer Erstere merkt, dass sie selbst noch einiges aus ihrem Leben aufzuarbeiten hat. Die Gespräche spielen insgesamt aber irgendwie nur eine Nebenrolle, vieles wird einfach erzählt wie in anderen Büchern auch. Während der Gespräche wird mehr über die Gedankengänge der Protagonistinnen erzählt, als dass es tatsächliche Dialoge gäbe. Die verschiedenen Kapitel werden in der Regel aus Sicht einer der beiden Protagonistinnen geschildert – jedoch immer mithilfe eines auktorialen Erzählers, nicht jedoch aus der Ich-Perspektive. Das lässt das Ganze weniger persönlich wirken.
Darüber hinaus gab es einzelne Charaktere, die nur in einem Kapitel eine Rolle spielen und daher für die Geschichte vollkommen irrelevant sind. Der "Plottwist" war in meinen Augen etwa so überraschend wie der Fakt, dass ich nach zehn Bier nicht mehr geradeaus laufen kann. Außerdem werden die Dialoge (die das Buch wirklich gebraucht hätte) sozusagen dadurch ersetzt, dass Henrietta zur Detektivin wird und in der Geschichte ihrer Klientin forscht. Auch dass Henrietta sich, wie dem Klappentext zu entnehmen ist, in Folge der Gespräche mit ihrem eigenen Leben beschäftigen muss, ist eher Mittel zum Zweck.

Mich konnte die Geschichte leider null emotional berühren, ich habe mich zeitweise durch die Kapitel quälen müssen. Es mag sein, dass meine Erwartungen zu hoch waren, aber von einem Buch, in dem es um eine junge Frau gehen soll, die Gespräche mit Todkranken führt, um deren Lebensgeschichte aufzuschreiben, habe ich viele intensive, emotionale, mitreißende Dialoge erwartet. Die gab es leider fast nie. In jedem Krimi gibt es mehr Dialog – in einem Genre, einer Art von Geschichte, in der sie nicht so wichtig sind.