Bewegender Roman über zwei Schwestern am Wendepunkt

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San Juan Island, eine Insel in Cascadia, einer Region im Nordwesten Nordamerikas, ist seit jeher die Heimat von Sam und Elena. Die beiden Schwestern leben zusammen mit ihrer kranken Mutter in ärmlichen Verhältnissen. Arbeitsplätze sind rar. Elena, die Ältere der beiden, kellnert im Golfclub – Sam, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, arbeitet im Bistro der Fähre. Das Leben der Schwestern verläuft eintönig. Geld ist Mangelware – verschlingen doch bereits die zahlreichen Arztrechnungen den Großteil ihres Einkommens. Der gemeinsame Traum ist es, nach dem Tod der Mutter das Haus zu verkaufen, und auf dem Festland zusammen einen Neuanfang zu wagen und sich ein neues Zuhause aufzubauen. Als eines Tages aber ein Bär auftaucht, wird das Leben der Schwestern auf den Kopf gestellt – beide Frauen gehen ganz unterschiedlich mit der Gefahr des wilden Tieres in ihrer Nähe um.

Ich habe dieses interessante Buch, das einen Hauch Mystik und zudem einige Parallelen zum Märchen “Schneeweißchen und Rosenrot” der Gebrüder Grimm aufweist, zügig durchgelesen. Das Leben in dem Naturparadies, mit dem viele gemeinsame Kindheitserinnerungen verhaftet sind und das sich für Sam aber zu einem Gefängnis entwickelt hat, wird sehr gut beschrieben. Man fühlt mit ihr mit, die Ausweglosigkeit ihrer finanziellen Situation ist fast greifbar. Die Handlung spielt zur Zeit der Pandemie – die wirtschaftlichen Folgen und gesundheitlichen Risiken vor allem für die erkrankte Mutter klingen oft durch. Die Geschichte handelt von einer Familie, deren starker Zusammenhalt sich in eine Abhängigkeit entwickelt – es geht ebenso um das nötige Loslassen und die Erkenntnis, dass jeder für die Erreichung seines eigenen Lebenstraums verantwortlich ist. Das Auftauchen des Bärs ist der Schlüsselmoment für das Schicksal der beiden Schwestern. Während Elena fasziniert und nahezu besessen von dem Bären ist, reift in Sam nur noch stärker der Entschluss, die Insel zu verlassen. Im Original heißt das Buch “Bear” - diesen Titel hätte ich für die deutsche Ausgabe passender gefunden als “Cascadia”. Das Buch ist in einem angenehm ruhigen atmosphärischen Erzählstil geschrieben und sicher interessant für alle, die außergewöhnliche Familiengeschichten mögen. Die Gefühle und die Zerrissenheit von Sam waren sehr gut und einfühlsam beschrieben – zwischenzeitlich wurde für meinen Geschmack manches zu oft wiederholt, aber das ist nur ein kleiner Kritikpunkt. Das Ende ist überraschend und bietet sicher umfangreichen Interpretationsspielraum.