Zwischen Wien und Berlin

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Chopinhof Blues ist ein Roman, der durch sein Cover auf sich aufmerksam macht. Die dargestellten Häuser passen zwar überhaupt nicht zu den „Höfen“ in Wien, mit denen meist fortschrittlicher Sozialbau aus den 20ern und 30ern des 20. Jahrhunderts gemeint ist, aber es fällt auf und macht aufmerksam.
Erzählt wird aus drei Perspektiven, die erste, die zu Wort kommt, ist Katja, die in einer Bank in höherer Position arbeitet, ein Verhältnis mit dem Chef hat und deren wunder Punkt ihr Bruder Timo ist, der immer an die falschen Frauen gerät, in Wien als wenig erfolgreicher Künstler und Kunstprofessor lebt, und dem sie immer wieder zu Hilfe eilen muss. Sie hat eigentlich die Nase voll, aber ihr gemeinsames Schicksal, sie sind zusammen im Heim aufgewachsen, stellt eine starke Verbindung her.
Die zweite Stimme gehört Esra, einer Krisenjournalistin, die gerade aus Honduras zurückgekommen ist. Für sie ist es immer schwer, wieder ins normale Leben zurückzukehren, aber diesmal ist es anders. Die Verbindung zu den Menschen in Honduras war enger, das Trauma der Ohnmacht größer. Die zweite Hauptfigur in ihrem Abschnitt ist ihre Mitbewohnerin Magdalena, eine etwas verlorene junge Frau aus Wien.
Die dritte Perspektive gehört Ádám, der mit seiner Frau Aniko vor ein paar Jahren nach Wien gekommen ist auf der Suche nach einem besseren Leben. Doch manchmal ist er sich nicht mehr sicher, ob er bleiben will, auch weil seine Frau sich verändert hat und er sie oft nicht mehr versteht. Ádáms bester Freund ist zugleich sein Arbeitskollege, Daniel. Er hat einen kleinen Sohn, der jede zweite Woche bei ihm ist und den Ádám abgöttisch liebt.
Im Wechsel wird aus diesen drei Perspektiven erzählt und man kommt immer mehr drauf, dass es mehr Berührungspunkte gibt, als man anfangs vermuten würde. Das wirkt aber nicht gekünstelt, sondern entwickelt sich sehr schön im Verlauf des Romans.
Die Charaktere sind wunderbar gezeichnet, sehr vielschichtig, sehr klug, sehr einfühlsam. Manchmal treten sie auf der Stelle, manchmal entwickelt sich etwas weiter. Sie sind beeinflusst von ihrer Herkunft, ihrem Schicksal, ihren Erfahrungen. Das ist sehr schön, sehr schlüssig erzählt, sprachlich auf hohem Niveau.
Den Stern Abzug gibt es leider für das Ende. Da treffen dann alle aufeinander, ein sehr seltsames Zusammentreffen bei der Feier des 1. Geburtstags von Daniels Sohn. Auf eine gewisse Weise eskaliert der Nachmittag, allerdings führt das nirgendwohin, sondern versandet, man versteht auch nicht richtig, was das Problem ist. Die Szene wirkt leider etwas bemüht und konstruiert.
Dennoch ein sehr gelungenes, sehr spannendes, sehr schön erzähltes Debut!