Heimliche Sehnsüchte im Arbeiterkino

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evaczyk Avatar

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Die einen suchen nur Lust und Begehren, die anderen träumen von Liebe, doch gemeinsam ist ihnen ein Leben voller Heimlichkeiten und Ängste: Die Männer, die in der chinesischen Provinzmetropole Mawai in den 1980-er Jahren ein heruntergekommenes Arbeiterkino aufsuchen. Die immergleichen Filme sind egal - wichtig ist, dass sie hier zueinander finden können - schwule Männer, die kein offenes Leben führen können. In seinem Debütroman "Cinema Love" erzählt der amerikanische Autor Jiaming Tang auf berührende Weise von versteckten Sehnsüchten, Scham, Hoffnung und Verlust.

Ehe der Bauernsohn Old Second im Arbeiterkino seine große Liebe Shun-Er kennenlernt, liegen Gewalt und Demütigung hinter ihm. Seine erste Beziehung zu einem jungen Mann endete mit dem Verlust seiner Familie, die ihn nicht akzeptieren wollte als "Sissy". Doch das heimliche Glück im Kino endet tragisch, als Shun-Ers Ehefrau hinter das Doppelleben ihres Mannes kommt.

"Cinema Love" wechselt Zeit- und Ortperspektiven, vom China der 1980-er Jahre zum New York während der Pandemie. Hierher ist Old Second mit Hilfe von Schleusern eingewandert, zusammen mit seiner Ehefrau Bao Mai, die in dem Kino als Kartenverkäuferin gearbeitet hat und nach und nach die Freundin und Vertraute der zunächst misstrauischen Männer wurde. Mit Old Second verbindet sie eine liebevolle Freundschaft - sie verschafft ihm die Legende eines straighten Mannes, er kümmert sich fürsorglich um die Frau, die seit ihrer Kindheit hinkt und auf dem Heiratsmarkt schlechte Chancen hatte.

Das Leben in den USA ist hart, in Chinatown hausen sie mit zahlreichen anderen Schicksalsgenossen in Immigrantenhotels zwischen Kakerlaken und Ratten auf engstem Raum. Die Arbeit in Textilfabriken und Wok-Küchen ist hart und schlecht bezahlt - die Arbeitgeber unterbinden jeden Versuch der Gewerkschaften, in den Fabriken Fuß zu fassen und haben angesichts des nicht immer legalen Status der Neuankömmlinge alle Druckmittel in der Hand.

In Briefen, die eigentlich eher Kurzgeschichten sind, schafft sich Bao Mai eine Parallelwelt, in der die Männer aus dem Arbeiterkino ihr Glück finden und ihre Liebe offen leben können. Auf diese Briefe stößt zufällig Yan Hua, die Witwe von Shun-Er, die mit Eifersucht und Hass die fragile Welt des Kinos zerstört hat.

"Cinema Love" ist voller zerbrochener Träume, aber auch hoffnungsvoll - zwischen Hass und Scham gibt es die wenigen Allies und die Hoffnung auf ein anderes Leben. Bemerkenswert ist, dass Tang sich nicht nur der vorsichtigen Emanzipation queeren Lebens nähert, sondern auch einen Blick auf die richtet, die bei einem stolzen Coming Out meist unbeachtet bleiben - die Ehefrauen, für die eine Welt zusammenbricht, weil alles, was sie für eine Gewissheit hielten, eine Lüge war. Yan Hua rätselt während ihrer Ehe, warum ihr Mann so gar kein Interesse an ihr hat - was ist mit ihren Sehnsüchten und unerfüllten Sexualität? Tang vermeidet schwarz-weiß-Zuschreibungen und geht mit viel Sensibilität auf das komplexe und komplizierte Beziehungsgefüge ein. Zugleich beschreibt er eine Welt im Wandel und voller Unsicherheiten. Dieses Debüt macht neugierig auf mehr.