Queere Migrationsgeschichte.

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»Keiner von beiden spricht es aus, aber sie wissen, dass ihre Freundschaft nicht normal ist. Würde man sie erwischen, gäbe es Gerüchte. Obwohl sie sich nur still umarmen« (S. 15).

Nicht nur das Cover von »Cinema Love« ist düster, auch Stimmung in der Geschichte um Old Second & Shun-Er ist düster, drückend und melancholisch, doch hier und da schimmern die Figuren wie die Leuchtreklame des Kinos auf dem Cover.

In der chinesischen Provinz Fuzhou gibt es einen Ort, an dem Old Second und Shun-Er ihre verbotene Liebe ausleben können. In einem heruntergekommenen Arbeiterkino treffen sich homosexuelle Männer, um während der Kinovorführungen intim miteinander zu werden. Hier hat ihre Liebe und die Sehnsucht einen Platz. Außerhalb des Kinos leben Old Second und Shun-Er ein bürgerliches Leben, beide sind mit Frauen verheiratet und führen anständige Leben, wie es um das Jahr 1985 gesellschaftlich erwartet wird. Als Yan Hua, die Ehefrau von Shun-Er, ihren Mann in flagranti mit einem Mann erwischt trifft sie eine Folgenschwere Entscheidung, die auch Auswirkungen auf Old Second und seine Ehefrau Bao Mei hat. Die beiden verlassen ihre Heimat Mawei und wollen in New York den amerikanischen Traum leben…

Eindringlich beschreibt der Autor Jiaming Tang die Geschichte rund um Old Second und Shun-Er. Auch die Ehefrauen Yan Hua und Bao Mei spielen in diesem Roman eine tragende Rolle. Die Homosexualität der Männer wird von beiden Seiten beleuchtet.

Auf der einen Seite geht der Autor darauf ein, was es für die Männer bedeudeut einen Safer Space wie das Arbeiterkino nutzen können und diesen Treffpunkt zu verlieren. Auf der anderen Seite beinhaltet der Roman auch die Einstellung der Frauen, die mit der verbotenen Liebe ihrer Männer konfrontiert werden. Nebenbei spielen noch duzend Nebencharaktere eine wichtige Rolle und insgesamt bewirken die Entscheidungen einzelner Figuren auch häufig eine Veränderung für das gesamte soziale Gefüge. Diese Auswirkungen bauen eine enorme Spannung auf. Die Lebensverhältnisse der Figuren sind prekär, Armut ihr ständiger Begleiter und das Leben in China Town hart. Hinzu kommen queerfeindliche und rassistische Auseinandersetzungen.

»Warum nicht ins Arbeiterkino gehen und sich Erleichterung verschaffen? Ihm [Old Second] ist aber auch klar, dass die Männer sich trotzdem gern ihre Last von der Seele geredet hätten« (S. 51).

Der Schreibstil von Jiaming Tang ist rough und lyrisch. Die Figuren leben in einer Welt, die in lebhafte Beschreibungen eingebettet ist. So lässt sich der Roman mit allen Sinnen verfolgen, da an vielen Stellen auch Gerüche und der Geschmäcker beschrieben sind. Die Stimmung ist von Beginn an düster und ändert sich nur kurzzeitig zu hoffnungsvoll. Momente des Glücks erleben die Protagonist:innen nur selten. Insgesamt begleiten wir die Figuren mehrere Jahrzehnte – die Geschichte startet in Mawei, ungefähr 1985 und endet im heutigen New York.

»Cinema Love« ist ein intensives Debüt über Liebe, Queerness, Identitätsfindung und Migration (China/USA), welches ich uneingeschränkt empfehlen möchte. Falls Jiaming Tang mit weiteren Büchern nachlegt, dann ist dieses Buch sicher nicht mein letztes von diesem talentierten Autor gewesen.