Der Kreislauf der Scheiße

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r.e.r. Avatar

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New York, Anfang der 1990er Jahre. Der 19jährige Strike arbeitet für den Drogenhändler Rodney als Clocker. Das sind Straßendealer, die ihren Kunden vierundzwanzig Stunden am Tag Rauschgift verkaufen. Strike betreut für Rodney ein eigenes Revier. Er ist zuverlässig, klug und versucht gewalttätigen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Eines Tages beauftragt Rodney ihn mit der Liquidierung eines anderen Dealers, der Rodney bestielt und die Drogen auf eigene Rechnung weiterverkauft. Der Mord wird Strikes Bruder Viktor angelastet. Der junge Mann mit Familie, geregelter Arbeit und untadeligem Lebenslauf bestreitet die Tat nicht und geht für seinen Bruder ins Gefängnis. Nur der Polizist Rocco glaubt von Anfang an nicht an dessen Täterschaft und versucht die Wahrheit ans Licht zu bringen.

 

Richard Price ist ein amerikanischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Für die Drehbuch-adaption seines Romans “Clockers“ wurde er für den Oskar nominiert. Mit seinen realistischen Milieustudien der amerikanischen Drogen- und Polizeiszene hat er sich international einen Namen gemacht. Das Werk erschien in Deutschland erstmals 1992 unter dem Titel “Söhne der Nacht” beim Bertelsmann Verlag. Jetzt hat der Fischer Verlag diesen Klassiker der modernen Genreliteratur in neuer Übersetzung nochmals herausgebracht.

 

“Clockers” ist ein episches Werk, das durch seine authentische Sprache und Wirklichkeitsnähe beeindruckt. Trotz der sich langsam entwickelnden Handlung, ist man von Beginn an mitten im Geschehen. Man muss sich allerdings sehr konzentrieren die Personen der Straßen Brooklyns auseinanderzuhalten. Wer ist ein Dealer, wer gehört zur Polizei? Die Namen wirbeln durcheinander und sind nicht immer sofort zuzuordnen. Der rote Faden der wichtigen Figuren schält sich aber rasch heraus.

 

Neben Strike ist dies Rocco. Ein sensibler Polizist in mittleren Jahren, der sich selbst gering einschätzt und dennoch nach Anerkennung sehnt. Und der trotz allem noch an das Gute im Menschen glaubt. Price leuchtet diese Figuren genau aus, schlüpft in und unter ihre Haut, lässt den Leser an ihren Gedanken teilhaben, deutet und erklärt ihre Welt.

 

“Rocco, wolltest du der Lady die Birne einschlagen? Vor zwanzig Jahren, als sie ein kleines Mädchen war, hab ich ihren Vater verhaftet, weil der ihren kleinen Bruder zu Tode geprügelt hat. Der Vater war ein echtes Stück Scheiße. Und jetzt ist sie erwachsen und ebenfalls ein echtes Stück Scheiße. Das Kind, das du heute Abend gerettet hast. Wenn es lange genug lebt, wird es genauso ein echtes Stück Scheiße sein. Rocco, das ist der Kreislauf der Scheiße und du kannst nichts dagegen unternehmen. Also nimm die Sache nicht so schwer und mach deine Arbeit.”

 

Diese Begebenheit von seinem ersten Arbeitstag vor über zwanzig Jahren erzählt Rocco dem Schauspieler Sean Touhey, der ihn und seinen Kollegen Mazilli für einige Tage bei ihren Einsätzen begleitet um für einen Film zu recherchieren. Sie versinnbildlicht das Thema des ganzen Romans, den ewigen Kreislauf der Kriminalität.

 

Rocco glaubt an die Unschuld Viktors, weil er die Gesetze der Straße kennt. Aus eben diesem Grund durchbricht er am Ende den Kreislauf und schafft Raum für einen Neubeginn. Ein großartiger Roman, bei dem jedes einzelne Wort Gewicht zu haben scheint. Jeder Satz ein Menschenleben skizziert. Jede Handlung Tot oder Leben bedeuten kann. Der zeigt wie unendlich kostbar das Leben ist und wie wertlos es sein kann, wenn man am falschen Ort lebt.