Gefangen in Konventionen

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Ardglas, 1994. Colette Crowley möchte mehr Zeit mit ihren Söhnen verbringen und kehrt in ihre Heimatstadt zurück. Vor einiger Zeit hatte sie ihre Familie verlassen, um in Dublin ein ganz anderes Leben zu führen. Im katholischen Irland der 90-er Jahre stößt sie mit diesem Verhalten auf kollektives Unverständnis. Nur weil Dolores das Geld benötigt, vermietet sie ihr das kleine Cottage an der Coast Road. Ihr Mann Donal hätte es auch lieber anders, aber findet dann Gefallen an der einsamen Frau. Die Situation spitzt sich zu und wird zu einem wahren Krimi.

Alan Murrin konzipiert eine Geschichte, die für seine Protagonistin einen Leidensweg darstellt. Sie wollte sich von ihrem Ehemann Shaun trennen, was zu der Zeit verboten war. Als die Sehnsucht nach ihren Söhnen immer größer wird und zudem die Beziehung mit ihrem neuen Partner nicht funktioniert, kehrt Colette zurück. Sie stößt auf massive Ablehnung bei ihrer Familie und auch in der Gesellschaft. Der Umgang mit ihren Kindern wird ihr verwehrt. Die immer stärker werdende Verzweiflung arbeitet der Autor wunderbar heraus, sodass man mit der Frau mitfühlen kann. Es wird überdeutlich, dass es in einer Zeit, die noch gar nicht so lange vorbei ist, eine derartige Ungerechtigkeit zwischen der Selbstbestimmung von Mann und Frau gab. Scheidungen sind erst seit 1995 in Irland erlaubt. An der Positionierung der anderen Figuren kann man die Bigotterie ablesen, mit der alle den Schein nach außen wahren wollen. Die Geschichte wirkt verstörend, was aber vermutlich eine Irin ganz anders sehen würde.

Zwischen Ablehnung und Sehnsucht
Die Figuren sind sorgfältig ausgewählt. Sie verkörpern jeweils eine Haltung, die sich durch die Bevölkerung zieht. Die Frau des Pastors ist sich ihrer Stellung bewusst und verbirgt so gut es geht ihre unglückliche Ehe. Sie bewundert Colette, dass diese den Mut zum Weggehen aufbrachte. Dolores ist ebenfalls in ihrer Ehe unglücklich. Sie nimmt die Seitensprünge ihres Mannes hin, weil sie sowieso keine Alternative hätte. Die Erzählperspektive wechselt zwischen den Figuren, sodass man ihre Beweggründe erklärt bekommt, auch wenn man manche hinterher immer noch ablehnt. Es wird aufgezeigt, wie selbstverständlich die Männer ihr Leben einrichten und ihren Frauen nur zugestehen, was ihnen hilfreich erscheint. Das Referendum zur Gesetzesänderung war mehr als überfällig. Murrin zeigt mit dem Handlungsverlauf, wie die permanente Fremdbestimmtheit einen Menschen zermürben und die gesellschaftliche Ächtung zum Zerbrechen führt. Er übt 30 Jahre später noch Kritik, dass dies in Irland so lange möglich war.

Alan Murrin zeichnet mit The Coast Road ein eindringliches Porträt einer Frau, die gegen gesellschaftliche Normen und moralische Verurteilung kämpft. In einer Zeit, in der Scheidung in Irland noch verboten war, muss Colette erfahren, dass Selbstbestimmung für Frauen nicht vorgesehen ist. Der Roman ist nicht nur eine bewegende Charakterstudie, sondern auch ein kritisches Spiegelbild einer Gesellschaft, die ihre Widersprüche und Ungerechtigkeiten lange verdrängt hat. Die dichte Atmosphäre, die fein ausgearbeiteten Figuren und die schmerzliche Intensität der Erzählung machen das Buch zu einer fesselnden, aber auch bedrückenden Lektüre.