Bemerkenswerter und hochaktueller Roman

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bea20 Avatar

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Die beiden Hauptfiguren des Romans könnten unterschiedlicher kaum sein. Der vierzigjährige Christophe hat die französische Kleinstadt, in der er aufgewachsen ist, nie verlassen. Unverändert arbeitet er als Vertreter für Hundefutter in der Region, liebt seinen Eishockey-Verein und genießt jede Minute, die er mit seinem achtjährigen Sohn verbringen darf, der nach der Trennung der Eltern bei seiner Mutter lebt. Ehrgeizlos und pragmatisch führt er ein unaufgeregtes, nicht unzufriedenes Leben in der Provinz, hat zwei beste Freunde und einen mit den Beschwerden des Alters kämpfenden Vater. Zufällig begegnet er der gleichaltrigen Hélène wieder und die beiden beginnen eine Affäre.

Ehrgeizig und diszipliniert ist Hélène als Schülerin, mit Bestnoten durchläuft sie ihre schulische Ausbildung und ihr Studium, plant zielstrebig ihren Weggang aus der Provinz und eine internationale Karriere und gibt ihr Bestes, um stets eine gute Performance abzuliefern. Nachdem Hélène jahrelang auf der Suche nach etwas gewesen war, was sie möglichst weit von ihren Ursprüngen entfernte, nachdem sie sich dem Wettbewerb gestellt und auf ihren Aufstieg konzentriert hatte, ihr Traum vom Leben auf großem Fuß und einer Vorzeigefamilie nun mit fast vierzig Jahren längst erfüllt ist, kommt die Ernüchterung und das Gefühl der inneren Leere, Enttäuschung und Wut. Zutiefst unglücklich, zwischen dem Bedürfnis eines sicheren Hafens und dem Wunsch nach Rache, stellt sie sich ihren Gefühlen, hinterfragt ihren Lebensentwurf und reflektiert ihre Herkunft und die bislang von ihr verachtete Lebensweise ihrer Eltern.

Sprachlich brillant, nüchtern und sehr präzise beschreibt Nicolas Mathieu die Arbeitsatmosphäre in den modernen Unternehmen unserer Zeit, den Wettbewerbsdruck, die Kühle und Härte, die äußeren Zwänge, die Sprachlosigkeit und Desillusionierung in einer Beziehung, innerhalb einer Familie und der Gesellschaft.

Das französische Lied „Les Lacs du Connemara“, das dem Buch seinen Titel verleiht, taucht immer wieder in der Handlung auf. Es spricht von einem durchschnittlichen Leben, auf dem Land, wo man keine großen Sprünge machen kann, wo trotz harter Arbeit und gnadenlosem Alltag dennoch dankbare und zufriedene Freude ist, sich zu Hause zu wissen und das Gefühl zu haben, dass es sich gelohnt hat. Dieses Lied, von Michel Sardou gesungen, das den Franzosen unter die Haut geht und sie stolz macht, schafft auf Festen einen verblüffenden Zusammenhalt; die Jungen und die Alten, selbst die heranwachsende Elite Frankreichs kennt jede Zeile des Lieds und singt, tanzt und klatscht im Takt. Es sind die seltenen Momente der Verbundenheit der Generationen in einer tief gespaltenen Gesellschaft und der Hoffnung, dass die Endzeitstimmung doch noch verfliegt. Mich hat das Buch sehr beeindruckt und in den Bann gezogen. Es ist ein bemerkenswerter und hochaktueller Roman, der von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung erhält.