Bestandsaufnahme in der französischen Provinz

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Hélène ist knapp vierzig und vor nicht allzu langer Zeit nach einem Burn-out mit ihrem Partner und den zwei Töchtern von Paris nach Nancy gezogen, zurück in den Osten Frankreichs, in dem sie auch aufgewachsen ist. Doch glücklich ist sie trotzdem nicht, im Job geht es nicht so voran, wie sie es gern hätte, und ihre Beziehung ist vor allem von Streit über Care-Arbeit und eingespielter Nicht-Kommunikation geprägt. Auf der Suche nach einer Affäre trifft sie plötzlich wieder auf Christophe, den Schwarm ihrer Jugend, ein ehemaliger Star im örtlichen Eishockeyteam, der damals leider schon vergeben war, aber jetzt durchaus offen ist für, ja was eigentlich? Eine Affäre? Eine Beziehung eher nicht, dazu sind ihre Leben zu verschieden, schließlich ist Hélène eine gutverdienende Unternehmensberaterin und er inzwischen ein Hundefuttervertreter, der es nie aus der Kleinstadt herausgeschafft hat.
Nicolas Mathieu beschreibt nicht einfach nur die sich anbahnende Affäre der beiden, sondern erzählt in Rückblicken von ihrer Kindheit und Jugend, von hart arbeitenden Eltern und bestehenden Klassengrenzen, deren Überschreitung immer mit Schmerzen verbunden ist. Es geht um Gesellschaft und Politik, Macron steht kurz vor der Wahl und die Menschen müssen entscheiden, ob sie sich den Rechten zuwenden wollen oder einem Mann vertrauen können, der nicht so wirkt, als könnte er sie verstehen.
Der Roman ist durchaus unterhaltsam zu lesen und funktioniert vor allem in den Rückblenden gut, er beschreibt sehr schön das Aufwachsen in der Provinz und die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens. Die heutigen Szenen, die ja eigentlich näher dran sein müssten, wirkten dagegen oft ziemlich distanziert, vor allem Hélène kam ich nicht wirklich nah. Die ja offensichtlich vorhandene Anziehungskraft zwischen ihr und Christophe wurde nicht wirklich deutlich, dadurch wirkten dann leider auch die Sexszenen eher so, wie man(n) sich das gern vorstellt, und deshalb nicht gerade überzeugend. Doch wer darüber hinwegsehen kann, bekommt einen thematisch vielfältigen Roman über das Aufwachsen in der Provinz, Arbeit, Klasse und die damit verbundenen Kämpfe, der mit einem eher pessimistischen Grundton unterlegt ist, dessen Ende aber offen genug ist, um nicht ganz zu verzweifeln. Ach ja, und der Titel hat nichts mit der irischen Landschaft zu tun, sondern spielt auf ein Lied an, das in Frankreich anscheinend vor allem in der dargestellten Generation bekannt ist: „Les lacs du Connemara“ von Michel Sardou.