Ein französisches Gesellschaftsbild

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'Très français' kommt Nicolas Mathieus neuer Roman daher, der eindeutig getragen wird von seinem Schreibstil: Mathieu schreibt detailliert, jedoch nie ausschweifend, nutzt treffende, aber nie blumig-kitschige oder millionenfach überstrapazierte Metaphern, die einen nur müde gähnen lassen. Zwischen den Zeilen findet sich hier und da eine erfrischende Prise Ironie, und faszinierenderweise gelingt es Mathieu, verschiedenste Erzählperspektiven authentisch einzunehmen: sei es die der Frau in der Midlife-Crisis, die des in die Jahre gekommenen Ex-Eishockey-Stars oder die der im Stillen rebellierenden Jugendlichen. Alltagssituationen beschreibt Mathieu gekonnt und treffend mit scharfer Beobachtungskunst und sprachlicher Raffinesse.

Die verschiedenen Protagonisten sind fein gezeichnet, greifbar, und vor allem glücklicherweise keine Stereotypen. Es gibt hier keine platten Umschreibungen à la "Figur XY ist so-und-so"; vielmehr werden dem Leser die verschiedenen Charaktere mittels subtiler Nebensätze und scheinbar beiläufiger Bemerkungen näher gebracht - so auch in Rückblicken, die dem Roman einen Hauch von Coming-of-Age verleihen.

Ich hatte meine Freude an den Ausführungen zur modernen Arbeitswelt, die mir selbst sehr vertraut ist und die Mathieu in all ihrer Redundanz und Absurdität zynisch darstellt. Ich hatte meine Freude an der Protagonistin Hélène, ihrer Rast- und Ruhelosigkeit, ihrem Zweifeln, ihrem Suchen, ihrem Hinterfragen. Ich hatte meine Freude an literarischen und musikalischen Referenzen, die hier und da eingestreut werden und das erzählerische Setting nur noch dichter werden lassen. Ich hatte meine Freude an geschickt positionierten politischen Aussagen, denn diese erfolgen nie mit erhobenem Zeigefinger oder drängen sich einem gar auf, und doch ist eine klare Haltung, ein bestimmtes Gesellschaftsbild, unterschwellig ersichtlich.

Wir haben es hier zu tun mit einem intelligenten, feinfühligen und zugleich scharf beobachtendem Werk, das zugegeben etwas still daherkommt und den Fokus auf die Protagonisten legt. Es gibt keine mitreißende, rasante Story; wer sich aber an einem Roman auf hohem sprachlichen Niveau erfreuen kann, sollte mit 'Connemara' einige Stunden Lesefreude erleben. Ein wenig fühle ich mich erinnert an einen dieser französischen Spielfilme auf Arte: unaufgeregt, auf die Charaktere fokussiert, kurzweilig – irgendwie eben 'très français'.