Für sehr frankophile Leser*innen

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Hélène arbeitet vordergründig erfolgreich in der Consultant-Firma Elexia, doch in der Realität ist sie in die Falle ungleich verteilter Care-Arbeit gegangen. Wenn Verantwortung für Haushalt und Kinder zu verteilen sind, scheint ihr Mann Philippe stets die wichtigeren Termine zu haben und stets ist es Hélène, die zurücksteckt und am Abend den Dienst-Laptop öffnet, nachdem die kleinen Töchter im Bett sind. Weil die Familie wegen Hélènes Scheitern beim vorangegangenen Beratungsprojekt wieder in ihren (fiktiven) Heimatort Cornécourt zurückgezogen ist, fühlt sie sich in der Schuld ihres Mannes. Als Gegenpol zu Héléne, die als Bildungsaufsteigerin aus kleinen Verhältnissen in Paris studierte und zuvor in der Region Nancy gelebt hatte, wollte Christophe nie aus der vertrauten Provinz weg. Jeder kennt ihn hier. Als Vertreter für Hundenahrung lebt er vom Vertrauen seiner Kunden und knüpft Geschäfte am liebsten in der Lounge des Eishockey-Clubs, für dessen Mannschaft er 20 Jahre lang spielte. Mit der Affäre zwischen dem Mann, der blieb, und der Frau, die wegging, um zu studieren, treffen eben die Gegensätze aufeinander, die Industrieländern der Gegenwart Probleme bereiten. Brüche zwischen Stadt und Land, hoch- und weniger spezialisierter Arbeit, gegensätzlichen Milieus, Politikern und von ihnen Regierten, Männern und Frauen, höchstmögliche individuelle Freiheit contra Gemeinschaftsaufgaben. Diese Spaltung will Mathieu mit dem titelgebenden Chanson "Connemara" von Michel Sardou aufzeigen, das je nach Gesellschaftsklasse unterschiedlich vorgetragen wird.

Rückblickend erfahren wir, wie Hélène zwar emsig als Organisationsberaterin buckelte, aber an Codes der Oberschicht scheiterte, die ihr als Aufsteigerin entgangen waren. Externe Berater verdienen ihr Geld damit, dass sie betroffenen Behörden und deren Mitarbeitern eine Angriffsfläche für Aggressionen gegen „die Externen“ bieten, nicht für real umgesetzte Rationalisierungsprozesse, muss sie sich von ihrem Chef sagen lassen. Auch auf die politische Ebene ihrer Projekte hat Hélène offenbar zu wenig geachtet. Ihre karrieretaktischen Fehleinschätzungen werden Hélène bewusst in der Zusammenarbeit mit ihrer cleveren Praktikantin der Digital-Native-Generation. Am Tiefpunkt ihrer Lebensplanung trifft sie auf Christophe, der sich wie Hélène in der Care-Arbeits-Falle befindet, als getrennt lebender Vater und mit der Verantwortung für seinen eigenen Vater. In teils vorauseilenden, sehr sprunghaft aneinander gereihten Episoden verfolgen wir das Heranwachsen von Christophe und Hélène als Jugendliche, Christophes Prägung durch seine Dreier-Clique und ihren weiteren Lebensweg.

Mit ungeheurer Detailfreude lässt Nicolas Mathieu uns in die wenig bewegliche französische Klassengesellschaft blicken. Den „großen Themen“ Unternehmensberatung, Eishockey, Entfremdung vom Herkunftsmilieu, gerechte Verteilung der Care-Arbeit, Altern, Männerbünde, sowie explizitn Sexszenen fehlt m. A. der rote Faden, so dass einerseits Hélène für mich sehr farblos wirkte, andererseits trotz der Detailfülle der Bereich Consulting aus reinem Name-Dropping zu bestehen schien.

Wer gern französische Autoren liest, kann hier zugreifen, wer weniger frankophil ist, wird sich mit dem Roman schwertun.