Handwerklich gut, aber unfokussiert

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mirko Avatar

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„Connemara“ ist nach „Wie später ihre Kinder“ der zweite Roman von Mathieu, den ich gelesen habe. Die Stimme des Autors ist unverkennbar, das Frankreich, das er beschreibt, zeigt ähnliche Züge - und doch bleibt ein anderes, etwas unbefriedigendes Gefühl zurück.
Die beiden Hauptpersonen sind Christophe, der es nie aus dem Provinzort seiner Jugend heraus geschafft hat, und Helene, die sich früh dafür entschieden hatte einen anderen Weg als ihre Eltern einzuschlagen, Karriere zu machen und so der langweiligen Provinz zu entfliehen. Obwohl die Wege der beiden sich während der Jugendzeit nur kurz gekreuzt hatten, werden sie sich nach über 20 Jahren wieder begegnen. Und aus dieser Begegnung entwickelt sich eine Beziehung, welche das Leben der beiden kurzzeitig auf den Kopf stellt.
Mathieu skizziert die Geschichte nicht geradlinig, sondern bindet zeitliche Sprünge ein und wechselt auch die Perspektive, indem er in kurzen Abschnitten einen Blick auf das Leben von Personen wirft, die im Umfeld von Helene und Christophe eine Rolle spielen - Eltern, Freunde, Geschwister, Kollegen.
Aus diesem Potpourri ergibt sich das komplexe Bild einer modernen französischen Gesellschaft, die sich in einem politischen Spannungsfeld befindet. Verschiedene gesellschaftliche Schichten prallen in diesem Umfeld aufeinander. Mit den beiden Haupt-Protagonisten schafft Mathieu die Möglichkeit einen Blick hinter die Fassaden dieser Menschen zu werfen. Und lässt dabei bewusst viele Fragen unbeantwortet. Er positioniert sich auch nicht politisch, sondern zeigt lediglich die Zustände seines Landes auf.
Zwei wesentliche Punkte haben mir dabei nicht gefallen: Zum einen ist das Buch in seinem Grundton sehr pessimistisch. Das war schon in seinen früheren Werken so, allerdings entfernt er sich mit „Connemara“ vom Grundton großer französischer Literatur, die häufig mit einer besonderen Art von Wehmut arbeitet und doch ein verlockendes Gefühl beim Leser hervorruft. Dieses Buch ist aber negativer. Sei es der Blick auf moderne Arbeitswelten, welche die Angestellten ausbrennen. Oder die großen Hindernisse auf der Suche nach der eigenen Identität. Lebenslanges Schuften für viel zu wenig Anerkennung. Den Verlust der Leichtigkeit mit zunehmendem Alter. Die zahlreichen Fehler, die Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder machen…
Ja, der Autor spricht viele Themen an und löst wenige positiv auf. Es gibt sicher einige großartige Passagen in dem Buch. Hier kann man z. B. die Wirkung des namensgebenden Chansons „Les lacs du Connemara“ von Michel Sardou auf eine ganze französische Generation nennen. Dieser Song ist ein roter Faden, der sich im Buch insgesamt dreimal wiederfindet.
Der Grundgedanke des Romans ist ebenfalls hervorragend umgesetzt. Aber ich hätte mir einen stärkeren Fokus auf einige wenige Themen gewünscht. Und ein bisschen mehr Hoffnung, die von diesen ausgehen.
Fazit: Ein handwerklich durchaus gelungenes Buch, das den Leser aber verunsichert zurücklässt und an der Vielzahl der angedeuteten Themen erstickt. Sicher kein Wohlfühl-Roman, sondern vielmehr ein Abriss moderner Gesellschaften, die sich von Generation zu Generation neu zu definieren versuchen, aber immer wieder dabei scheitern.