Tristesse der französischen Provinz

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missmarie Avatar

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"Das Glück ging auf leisen Sohlen. Man musste sich die Fotos angucken, um es zu bemerken."

Hélène und Christophe kennen sich seit der Schulzeit. Während Hélène Karriere gemacht und ihren Heimatort Épinal verlassen hat, ist Christophe dort geblieben. Der einstige Star der Schule - ein erfolgreicher Eishockeyspieler und gutaussehend - lebt heute eher ein bescheidenes Leben. Von seiner Freundin hat er sich getrennt und er arbeitet als Vertreter für Tiernahrung. Hélène hingegen ist Unternehmensberaterin und auf dem besten Weg, Juniorchefin zu werden. Auch wenn sie gerade erst wieder in ihre Heimat zurückgekehrt ist, hat sie ganz andere Ziele erreicht als ihr Jugendschwarm Christophe. Doch dann trifft sie ihn zufällig bei einem missglückten Tinder-Date wieder. Und obwohl Hélène verheiratet ist, beginnt eine Affäre mit dem gealterten Herzensbrecher.

In Nicolas Mathieus neuem Roman steht das Leben in der französischen Provinz im Vordergrund. Die Handlung spielt zwischen Eishockeystadion und Kneipe, zwischen Imbiss am Möbelhaus und billigem Hotel an der Autobahnausfahrt. Irgendwie scheint alles trostlos zu sein, inklusive des dort gebliebenen Christophes. Man trifft sich mit alten Freunden, die ebenfalls hängengeblieben sind und fragt sich, was aus all den alten Plänen geworden ist. Denn die gab es durchaus, wie der Leser immer dann erfährt, wenn die Handlung 30 Jahre und mehr in die Vergangenheit wechselt. Hélène wollte raus aus dieser Tristesse und der Weg führte für sie - zum gleichermaßen Erstaunen und Unbehagen der Familie - über die Bildung. Dennoch kehrt auch sie verheiratet und mit zwei Kindern nach Épinal nahe Nancy zurück. Ein Leben in der Einbahnstraße. Mathieu scheint davon erzählen zu wollen, dass es aus der Melancholie keinen Ausweg gibt. Passend dazu der Titel des Buches, eine Anspielung auf das schwermütige Lied "Les Lacs du Connemara".

Insgesamt lassen sich im Roman viele Anspielungen auf die französische Alltagskultur in der Gegenwart und vor 30 Jahren finden. Wer sich hier auskennt, findet sich bald in einem Poproman wieder. Wer hingegen wenig Erfahrung mit französischen Stars, Liedern und Filmen hat, der wird stellenweise eher verwirrt als mit einem heimeligen Gefühl abgeholt.

Neben Melancholie und Popkultur ist auch die Sexualität ein großes Thema. Interessanter Weise erzählt Mathieu diese überwiegend aus Hélènes Perspektive. Das gelingt manchmal gut, manchmal gerät der Blick dann aber doch zu männlich. Gut erkennbar immer dann, wenn Hélènes Erfahrungen gleich aufgebaut werden wie Christophes erste Schritte in die Sexualität.

Obwohl Mathieu das Kleinbürgertum in all seinen Facetten und feinen Zwischentönen gut zu beleuchten weiß, hat mir der Roman nur wenig geben können. Zu eintönig und unbedeutend sind die vielen Alltagsepisoden, die nebeneinander stehen und sich zur Tristesse des Provinzalltags verbinden. Der Roman wirkt langatmig, bis etwas von Bedeutung geschieht, vergehen gut mal 50 Seiten. Das mag zwar genau das von Mathieu beabsichtigte Gefühl von Monotonie auslösen, ist dem Lesevergnügen aber nur bedingt zuträglich.