Berlin und Amt - wenn zwei sich finden

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Conny, die seit Anfang ’23 nicht mehr Beamtin ist, bringt viel Erfahrung im Öffentlichen Dienst mit. Und die Persönlichkeiten, die ihr dort begegnet sind, hat sie zusammengekehrt und mit Handyfilter in einem Instagram-Kanal nachgestellt und humoristisch aufgearbeitet. Das ist so gut gelungen, dass ihr inzwischen mehr als zweihunderttausend Menschen folgen. Eine Marktlücke zudem, denn Behördenirrsinn gibt es überall, jeder kennt eine Tief-einatmen-Petra, Gegen-alles-Gisela, Kussi-Doris, Küken-Dilara oder Du-bist-der-Change-Ronja, im Prinzip braucht es nur ein Büro. Da ich in genug Büros gearbeitet habe und als Berlinerin den hier großzügig eingesetzten Dialekt meiner Heimatstadt liebe, war dieses Buch ein Muss für mich. Auch wenn ich glaube, dass es für einige Leser zu viel sein könnte, weil es nicht immer flüssig zu lesen ist.
Natürlich sind die einzelnen Figuren recht klischeehaft gehalten, aber das muss in Humor so. Besonders Ronja hat es mir angetan, denn sie kommt aus der studierten Wirtschaft und versucht mit all den englischen Begriffen den völlig überalterten Laden aufzumischen und neu zu strukturieren. Da sind aber schon ganz andere dahergekommen …
Die kurzen Kapitel, die je eine ebenso kurze Episode aus Connys Büroalltag erzählen, bauen alle aufeinander auf. So entsteht in der Tat eine Art erzählender Roman, der leider am Ende mittendrin abbricht. Das ist wohl ein wild winkender Zaunpfahl, dass es in Zukunft eine Fortsetzung geben wird. Nicht nur das Büro wird näher vorgestellt, auch Conny selbst – ihr Stadtteil, ihre Wohnung, alles nach Feierabend – zeigt ihr Umfeld.
Alle Figuren sind sehr einzigartig gemacht. Sie bekommen eine eigene Stimme und die Autorin hat zudem ganze Lebensgeschichten, die sehr typisch daherkommen, für sie entworfen. In Berlin, gerade wenn es an ältere Personen geht, spielt das ganze Ossi/Wessi-Ding durchaus noch eine Rolle, besonders wenn dann Kindheits- und Jugendgeschichten aufgerollt werden. Conny geht sehr behutsam mit dem Thema um, weiß sie doch offenbar genau, wie empfindlich viele dahingehend sind. Auch mich hat es sehr beruhigt, dass nicht das übliche Ossibashing, nicht die üblichen Klischees von damals hervorgeholt worden sind. Ich habe alles diesbezüglich als sehr ausgewogen wahrgenommen.
Mir hat das Buch viel gegeben, vor allem Lesespaß. Gern würde ich mehr von Conny und ihren Kolleginnen lesen. Ich weiß nicht, ob ich als Berlinerin besonders dabei bin, aber ich glaube schon, dass das Buch etliche Leser für sich gewinnen kann.