Ein gelungenes Buch mit wichtiger Botschaft

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marieon Avatar

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Die Therapeutin fragt Maja, warum sie das gemacht hat. Maja zuckt mit den Schultern, blickt auf die Hände in ihrem Schoß, atmet schneller. Sie will nicht mehr in Spiegel schauen, zu groß ist die Angst, dass sich dann die Ranken um ihren Hals wickeln und sich zuziehen. Sie will aber auch die Therapeutin nicht reinlassen, was weiß die schon, gar nichts.

Majas Patentante Liv kontrolliert ihr Spiegelbild in der Eingangstür des Lokals, dann geht sie hindurch und sieht ihren Bruder winken. Neben ihr sitzt die neue Freundin und strahlt sie offen an. Sie setzt sich zu ihnen und muss zuerst etwas trinken. Sie würde jetzt gerne zu den Toiletten gehen und Emma per Handy Bericht erstatten, weil sie Sophie sympathisch findet und sich so für ihren Bruder freut. Emma wird jedoch nie wieder ans Handy gehen, ihr nie wieder antworten, weil sie drei Meter unter der Erde liegt und es dort keinen Empfang gibt. Emma ist tot und hat ein Loch aus schwarzer Materie hinterlassen.

Maja klettert zu Brigitte ins Auto. Wie die Therapie war, will sie wissen. Gut. Brigitte schaut kurz zu Maja und sieht sofort Emma vor sich, mit neun oder zehn. Emma, die schon damals viel eingesteckt und es dann mit sich ausgemacht hatte. Wenn Brigitte gewusst hätte, wie es wirklich um Emmas Ehe gestanden hat, hätte sie Himmel und Erde in Bewegung gebracht, um sie und die Kleine da raus zu holen.

Fazit: Jasmin Schreiber hat das Thema Misogynie und Femizid schreibend erforscht. Sie bringt den Schmerz der Hinterbliebenen, einer Mutter, Tochter und besten Freundin, zu Papier. Die Geschichte ist umfangreich und lässt alle Beteiligten kapitelweise zu Wort kommen, zeigt ihre Gefühle, dieses Vermissen, die Traurigkeit, die Scham, die Zerrissenheit (Maja liebt ihren Vater und darf es doch nicht), die Schuld (wieso haben die anderen nichts von der Ehehölle mitbekommen?) und die Wut. Obwohl die Erzählung fiktiv ist, wird bald klar, dass sie sich genauso hinter vielen deutschen Türen abgespielt haben kann. Männer töten. Warum? Weil sie es können. Einzig der verurteilte Täter, Emmas Mann und Majas Vater ist zum Stummsein verdammt und das finde ich sehr gelungen, weil in der Realität den Monstern immer zu viel Aufmerksamkeit zuteil wird, viel mehr als den Betroffenen. Das Ganze ist gut gemacht, gespickt mit Akteneinsichten und Schreiben von Anwälten und Jugendamt und dem forensischen Bericht. Die ersten 150 Seiten fand ich etwas holprig, weil es auf mich konstruiert wirkte, so als wisse die Autorin nicht so recht, wohin die Reise geht. Dann aber hat sie mich voll gehabt. Wie gut sie die Traumatisierung gezeigt hat, hat mich Rotz und Wasser weinen lassen. Wie gut sie die Persönlichkeit und das perfide Vorgehen des Mörders gezeigt hat, hat mich entsetzt. Ein sehr gelungenes, mitreißendes und wichtiges Buch, das hoffentlich viele Leser*innen findet.