Feinfühlig erzählt, aber mit Luft nach oben
Bereits mit dem ersten Blick auf das Cover von Jasmin Schreibers Roman „Da, wo ich dich sehen kann“ breitet sich ein beklemmendes Gefühl in mir aus: Auf dem schwarzen Cover befindet sich im unteren Drittel eine sehr kleine, einsam wirkende Person in weiß. Darüber steht in großen Lettern der Titel in einem Farbverlauf von rot bis blassblau im Zentrum, drum herum ist durch das Universum angedeutet.
Von einem Tag auf den anderen verändert sich für die neunjährige Maja der Mittelpunkt ihres Universums: Ihre Mutter Emma ist tot – umgebracht vom geliebten Papa Frank, der Maja scheinbar mit Aufmerksamkeit überhäuft, manipuliert und instrumentalisiert hat. Emma indes wurde von ihm überJahre hinweg systematisch abschottet, erniedrigt und sowohl emotional als auch physisch gequält. Doch nicht nur Maja leidet nach der Tat unter dem Verlust ihrer Eltern, Ängsten und Schuldgefühlen. Auch für Emmas Eltern Per und Brigitte, sowie Emmas beste Freundin Liv und schließlich auch für Franks Eltern ist nichts mehr wie es mal war.
Das Thema ihres Romans ist Jasmin Schreiber eine Herzensangelegenheit, dass merkt man im gesamten Roman, aber auch mit Blick auf die Widmung. Denn sie hat eine solche Tat in der direkten Nachbarschaft erlebt.
In ihrem Buch rückt sie in den einzelnen Kapiteln immer eine andere Figur ins Zentrum und liefert dem Leser dabei erschütternde Einblicke in das Seelenleben der einzelnen Charaktere, die zwar alle anders mit der grauenvollen Tat und dem Verlust von Mutter, Tochter oder Freundin umgehen, aber allesamt äußerst verstört und traumatisiert sind und unter erheblichen Schuldgefühlen und Sprachlosigkeit leiden. Schreiber veranschaulicht weniger die Gewalt bzw. den Femizid an sich, als viel mehr die verheerenden Auswirkungen.
Der Roman ist nicht chronologisch aufgebaut. Stattdessen wechseln sich gegenwärtige Szenen, mit Rückblenden in denen u.a. auch die getötete Emma eine Stimme erhält und hypothetischen Szenarien ab, in denen sich die Charaktere ausmalen, wie Emma durch eine alternative Handlung oder Reaktion ihrerseits zu retten gewesen wäre. Zeitungsartikel und offizielle Dokumente, wie Gerichtsbeschlüsse verleihen dem Ganzen Authentizität. Für mich sind es insbesondere die „was-wäre-wenn-Kapitel“, die wirklich unter die Haut gegangen sind, denn sie offenbaren die Schuld- und Versagensgefühle Livs und der Eltern besonders deutlich. Dabei wirken sie für Außenstehende zwar nachvollziehbar gleichzeitig aber auch vollkommen irrational. Wo schon die Erwachsenen mit ihren Emotionen nicht umzugehen wissen, ist es für Maja besonders schwierig: Immer wieder wird sie von Todesängsten und Horrorvisionen heimgesucht und entwickelt ebenfalls das Gefühl versagt zu haben und die Verantwortung am Tod der Mutter zu tragen. Als wäre das alles nicht sowieso schon mehr als Maja ertragen kann, pochen die Großeltern väterlicherseits plötzlich auf das Sorgerecht. Inmitten des bürokratischen Wirrwarrs droht Maja nun völlig zu zerbrechen – und nicht nur sie. Das Geschehen und die Reaktionen der Charaktere sind vollkommen unvorhersehbar und sorgen damit für ein durchgängig hohes Spannungsniveau (obwohl das Wort Spannung unpassend wirkt).
Die Schilderungen mit Blick auf die verschiedenen Charaktere sind Jasmin Schreiber wirklich überragend gelungen und haben mich voll vereinnahmt. Dass sie dabei nicht in überschwängliche Sentimentalität abdriftet, sondern durch den personalen Erzählstil einen sehr realistischen Eindruck aber gleichzeitig auch eine gewissen Distanz zu den Charakteren schafft, mag ich besonders. Die Thematik verdient einfach den pietätvollen Umgang.
Ein paar kleine Schwachstellen hat das Buch in meinen Augen trotzdem. So haben sich besonders im letzten Drittel ein paar logische Fehler eingeschlichen und die Gewichtung der geschilderten Ereignisse hätte ich mir teilweise einen etwas anderen Fokus gewünscht. Gern hätte ich mehr über den Sorgerechtsstreit gelesen als lediglich die offiziellen Dokumente und auch der Klinikaufenthalt Majas wird nur kurz angerissen. Hier hätte ich mir weitere Details gewünscht. Livs Mutter hat dafür aus meiner Sicht zu viel Raum bekommen. Vor allem hat mich aber die recht einseitig negative Sicht auf Männer, die viele Charaktere zeigen, ein wenig gestört. Aufklärung über Femizide ist zweifelsfrei unerlässlich, darf aber nicht zu Schubladendenken führen. Die im Anschluss angeführten Hilfestellen – sowohl für Gewalt gegen Frauen, als auch für Gewalt gegen Männer – relativieren diese Kritik allerdings wieder.
Statt einer großen Handlung bietet „Da, wo ich dich sehen kann“ einen ergreifenden und tiefgehenden Blick auf Femizide und vor allem auf die Auswirkungen bei den Hinterbliebenen. Die reale Wirkung und die pietätvollen Schilderungen dieser Thematik machen den Roman überaus lesenswert und lassen kleine Schwächen in den Hintergrund treten.
Von einem Tag auf den anderen verändert sich für die neunjährige Maja der Mittelpunkt ihres Universums: Ihre Mutter Emma ist tot – umgebracht vom geliebten Papa Frank, der Maja scheinbar mit Aufmerksamkeit überhäuft, manipuliert und instrumentalisiert hat. Emma indes wurde von ihm überJahre hinweg systematisch abschottet, erniedrigt und sowohl emotional als auch physisch gequält. Doch nicht nur Maja leidet nach der Tat unter dem Verlust ihrer Eltern, Ängsten und Schuldgefühlen. Auch für Emmas Eltern Per und Brigitte, sowie Emmas beste Freundin Liv und schließlich auch für Franks Eltern ist nichts mehr wie es mal war.
Das Thema ihres Romans ist Jasmin Schreiber eine Herzensangelegenheit, dass merkt man im gesamten Roman, aber auch mit Blick auf die Widmung. Denn sie hat eine solche Tat in der direkten Nachbarschaft erlebt.
In ihrem Buch rückt sie in den einzelnen Kapiteln immer eine andere Figur ins Zentrum und liefert dem Leser dabei erschütternde Einblicke in das Seelenleben der einzelnen Charaktere, die zwar alle anders mit der grauenvollen Tat und dem Verlust von Mutter, Tochter oder Freundin umgehen, aber allesamt äußerst verstört und traumatisiert sind und unter erheblichen Schuldgefühlen und Sprachlosigkeit leiden. Schreiber veranschaulicht weniger die Gewalt bzw. den Femizid an sich, als viel mehr die verheerenden Auswirkungen.
Der Roman ist nicht chronologisch aufgebaut. Stattdessen wechseln sich gegenwärtige Szenen, mit Rückblenden in denen u.a. auch die getötete Emma eine Stimme erhält und hypothetischen Szenarien ab, in denen sich die Charaktere ausmalen, wie Emma durch eine alternative Handlung oder Reaktion ihrerseits zu retten gewesen wäre. Zeitungsartikel und offizielle Dokumente, wie Gerichtsbeschlüsse verleihen dem Ganzen Authentizität. Für mich sind es insbesondere die „was-wäre-wenn-Kapitel“, die wirklich unter die Haut gegangen sind, denn sie offenbaren die Schuld- und Versagensgefühle Livs und der Eltern besonders deutlich. Dabei wirken sie für Außenstehende zwar nachvollziehbar gleichzeitig aber auch vollkommen irrational. Wo schon die Erwachsenen mit ihren Emotionen nicht umzugehen wissen, ist es für Maja besonders schwierig: Immer wieder wird sie von Todesängsten und Horrorvisionen heimgesucht und entwickelt ebenfalls das Gefühl versagt zu haben und die Verantwortung am Tod der Mutter zu tragen. Als wäre das alles nicht sowieso schon mehr als Maja ertragen kann, pochen die Großeltern väterlicherseits plötzlich auf das Sorgerecht. Inmitten des bürokratischen Wirrwarrs droht Maja nun völlig zu zerbrechen – und nicht nur sie. Das Geschehen und die Reaktionen der Charaktere sind vollkommen unvorhersehbar und sorgen damit für ein durchgängig hohes Spannungsniveau (obwohl das Wort Spannung unpassend wirkt).
Die Schilderungen mit Blick auf die verschiedenen Charaktere sind Jasmin Schreiber wirklich überragend gelungen und haben mich voll vereinnahmt. Dass sie dabei nicht in überschwängliche Sentimentalität abdriftet, sondern durch den personalen Erzählstil einen sehr realistischen Eindruck aber gleichzeitig auch eine gewissen Distanz zu den Charakteren schafft, mag ich besonders. Die Thematik verdient einfach den pietätvollen Umgang.
Ein paar kleine Schwachstellen hat das Buch in meinen Augen trotzdem. So haben sich besonders im letzten Drittel ein paar logische Fehler eingeschlichen und die Gewichtung der geschilderten Ereignisse hätte ich mir teilweise einen etwas anderen Fokus gewünscht. Gern hätte ich mehr über den Sorgerechtsstreit gelesen als lediglich die offiziellen Dokumente und auch der Klinikaufenthalt Majas wird nur kurz angerissen. Hier hätte ich mir weitere Details gewünscht. Livs Mutter hat dafür aus meiner Sicht zu viel Raum bekommen. Vor allem hat mich aber die recht einseitig negative Sicht auf Männer, die viele Charaktere zeigen, ein wenig gestört. Aufklärung über Femizide ist zweifelsfrei unerlässlich, darf aber nicht zu Schubladendenken führen. Die im Anschluss angeführten Hilfestellen – sowohl für Gewalt gegen Frauen, als auch für Gewalt gegen Männer – relativieren diese Kritik allerdings wieder.
Statt einer großen Handlung bietet „Da, wo ich dich sehen kann“ einen ergreifenden und tiefgehenden Blick auf Femizide und vor allem auf die Auswirkungen bei den Hinterbliebenen. Die reale Wirkung und die pietätvollen Schilderungen dieser Thematik machen den Roman überaus lesenswert und lassen kleine Schwächen in den Hintergrund treten.