Mama ist tot und Papa ein Mörder

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jenvo82 Avatar

Von

"Trauer hat die unangenehme Eigenschaft, einen einzukapseln und irgendwie abzuspalten von allen anderen. Es ist ein zutiefst persönliches Gefühl, das eine Art unsichtbareMembran um einen zieht."

Inhalt

Maja findet ihre leblose Mutter im Wohnzimmer und verständigt den Notarzt. Als die Sanitäter kommen, offenbart sich Ihnen ein Familiendrama - der Vater hat die Mutter stranguliert, die 9-jährige Tochter steht fassungslos daneben und sucht all die Schuld bei sich, denn eigentlich hatte sie Papa viel lieber als Mama und die beiden haben immer so laut gestritten, ganz gewiss wegen ihr. Nun ist Mama tot und Papa ein Mörder. Die kleine Welt des Kindes zerbricht von jetzt auf gleich. Zunächst kommt Maja zu den mütterlichen Großeltern, auch wenn die viele Kilometer weit weg wohnen, nach dem richterlichen Beschluss jedoch zu den Großeltern väterlicherseits. Das Kind fängt an, sich selbst zu verletzen, wegzulaufen und sich in ernste Schwierigkeiten zu bringen. Nur Mamas beste Freundin Liv, die selbst maßlos trauert, schenkt Maja ein bisschen Geborgenheit und erklärt ihr nicht nur das Universum, sondern auch, warum sie keine Schuld an den Entwicklungen trägt und ihre Mama sie ganz gewiss lieb hatte ...

Meinung

Von der Autorin habe ich bereits zahlreiche Bücher gelesen, die ich alle gern mochte, deshalb war ihr neuester Roman förmlich "Pflichtlektüre" für mich. Außerdem ist die Thematik des Femizids eine ganz besondere, die deutlich macht, wie schlimm das Leben mancher Frau unter der Hand eines gewaltätigen Mannes ist. Und dabei kann man die zahlreichen Familiendramen, die fast täglich durch die Medien flimmern, als Außenstehender vielleicht ausblenden, oder die Opfer bemitleiden, warum sie es nicht geschafft haben, sich von den Fesseln der Partnerschaft zu befreien, doch so einfach ist es nicht.

Im vergangenen Jahr hat in meinem Bekanntenkreis ein ähnliches Verbrechen stattgefunden. Opfer und Mörder waren zwar erst Anfang 20, aber die zurückgewiesene Liebe des einen, hat den anderen vorsätzlich zur Tat verleitet - letztlich sind zwei junge Menschen dem Mord bzw. Selbstmord zum Opfer gefallen und keiner der Hinterbliebenen hätte diese Entwicklung kommen sehen, geschweige denn verhindern können - die Ohnmacht der Trauernden ist auch in diesem Roman die grundlegende Komponente.

Gerade die Perspektivenvielfalt verleiht dem Text eine immense Tiefe, jede Zeile ist harter Tobak und ich musste ganz oft die Tränen wegblinzeln . Die psychologische Betreuung der Hinterbliebenen scheint mir enorm wichtig und wird auch hier angesprochen und gelebt, auch wenn man sieht, wie schwer der Zugang zu den Menschen herzustellen ist, die sich immer selbst in der Verantwortung für das große Unglück sehen.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne für dieses bemerkenswerte Buch, welches sehr nahbar und ehrlich die Schrecken in scheinbar "ganz normalen" Familien heraufbeschwört. Fraglich bleibt, ob irgendwer hätte die Tat verhindern können, doch letztlich kann man keine Antwort auf diese Frage finden. Es hat mich froh gestimmt, dass trotz der traurigen Grundstimmung und des vorherrschenden Schmerzes so viel Zusammenhalt zwischen den Menschen existiert, dass zumindest in diesem Fall ein Kind einen sicheren Zufluchtsort findet und sich irgendwann mit den unbeschreiblichen Taten angstfrei auseinandersetzen kann. Der Text ist zudem abwechslungsreich gestaltet, beinhaltet Kinderzeichnungen, psychologische Gespräche, Gerichtsurteile und Gutachten - viele Personen wirken mit, wenn es heißt, wieder einen Alltag zu bewerkstelligen, obwohl die Trauer das dominante Gefühl aller zu sein scheint und geliebte Menschen unwiderruflich ihren Status verlieren oder das Leben selbst.