Mutter, Tochter, beste Freundin

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Liv, Per, Brigitte und Maja haben etwas gemeinsam: Sie alle haben einen der wichtigsten Menschen in ihrem Leben verloren. Ihr Ehemann hat Emma umgebracht und nun müssen ihre Eltern, ihre Tochter und ihre beste Freundin irgendwie klarkommen. Wie das gelingt, davon handelt (unter anderem) dieses Buch.

Erzählt wird wechselnd aus den Perspektiven dieser vier, aber auch Emma selbst taucht schlaglichthaft immer wieder in den Fokus. Dabei werden Szenen aus der Kindheit und dem Erwachsenenleben beschrieben. Manchmal ist nicht sofort klar, in welcher Zeit man sich gerade befindet, aber sowohl der Wechsel der Perspektiven als auch die Orientierung in den Zeitebenen gelingen mühelos und ohne Verwirrung zu stiften.

Besonders nah dran ist die Geschichte an Liv, die in ihre Rolle als „Ersatz-Mama“ geworfen wird und der neunjährigen Maja dabei hilft, ihr neues Leben anzunehmen. Maja ist durch den Tod ihrer Mutter traumatisiert und hat Schuldgefühle. Diese plagen auch die weiteren drei Hinterbliebenen, wenn auch aus anderem Grund. Hier wird die Frage aufgeworfen, warum keiner etwas von den vorangehenden körperlichen und psychischen Misshandlungen gemerkt hat, ob doch Anzeichen da waren und was gewesen wäre, wenn man hartnäckiger nachgefragt hätte. Tolle Idee mit den farblich abgehobenen Alternativ-Szenarien, die die Erwachsenen sich ausmalen!

Auf Liv kommt im Verlauf der Geschichte noch ein weiterer Trauerfall zu, und hier fragt man sich angesichts der Danksagung, wie viel von der Autorin selbst in der Figur steckt. Neben dieser offenbaren Parallele sind beide Frauen Wissenschaftlerinnen, wobei Liv auch ihre Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht hat. Sie ist auch diejenige, sie mit ihrer Recherche zum Thema Femizid den gewissen „Bildungseffekt“ mit reinbringt. Das macht letztlich auch ein informatives Vor- oder Nachwort überflüssig.

„Da, wo ich dich sehen kann“ ist wunderschön einfühlsam und intensiv erzählt und man kann sich in jede Person gut hineindenken und -fühlen. Besonders bedrückend stellen sich die Auswirkungen des gewaltsamen Todes von Emma auf Maja dar. Rührend und überraschend wiederum fand ich das Kapitel, das aus der Sicht von Livs Hündin Chloé erzählt wird.

Daneben macht das Buch aber auch wütend und zeigt die strukturelle Dimension von Diskriminierung und Gewalt an Frauen. Nicht so gut gefallen hat mir der Schluss, hier hätte man gern ein Kapitel weglassen können und es wäre mindestens ebenso rund gewesen. Die letzten Seiten waren zu hastig, zu gedrängt, das hätte das Buch gar nicht nötig gehabt. Dennoch eine klare Empfehlung!