Gute Ansätze...

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mike nelson Avatar

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DAFUQ ist der Fluch, den Anja an ihrem vermeintlichen Entlassungstag von sich gibt - so sind es dann doch 10 Tage im Arrest geworden und nicht die erwarteten 9. Und weil der Ort der Handlung Russland ist, erwartet man als Leser natürlich eine ungeheure Brisanz, die sämtliche Menschenrechtsaktivisten auf den Plan gerufen hätte, wegen der unmenschlichen Zustände und der Gewaltanwendung durch das Gefängnispersonal, Brutalität und Willkür; man erwartet einen kritischen Exkurs über Freiheitseinschränkungen im Land, eine politische Kontroverse und die Analyse eines Unrechtsystems. Fünf Frauen für knapp 10 Tage in einer Arrestzelle, fünf Frauen mit ihrer sehr unterschiedlichen Geschichte - eigentlich eine hinreichende Ausgangsbasis für einen richtig guten Roman. Man hätte eine merscharfe Analyse der russischen Gegenwartsgesellschaft erwarten können, wo das Private immer auch politisch ist. Aber genau das bietet das Buch nur in sehr milder Form. Ja - ein bisschen wird über Willkür berichtet; locker-leichtes Erzählen darüber, dass die Beteiligung an Demonstrationen gefährlich sein kann; es geht aber auch um so banale Dinge wie 'Körperoptimierung' und Fingernägel, um Untreue; wir erfahren von schlechtem Essen im Arrest. Aber die Art, wie die Autorin erzählt, erweckt fast den Eindruck, dass es eine recht nette Erfahrung sein muss, in einer russischen Arrestzelle einzusitzen. Die gesamte Geschichte ist ein wenig wie halbgemütliches Geplaudere, während eigentlich drumherum das Leben mit seinen Katastrophen tobt. Nett zu lesen und zu hören - aber mehr auch nicht... Nur am Schluss - ein kleiner Exkurs über die magische Macht der Frauen über Leben und Tod und Fäden die reißen können - das gibt dann doch noch einen Sonderpunkt!