Kann das wahr sein?

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
herr_stiller Avatar

Von

Anja sitzt im Arrest. Sie soll zu einer Demo aufgerufen haben, gegen die Korruption des russischen Systems, die Politik, Putin. Alle anderen durften nach Hause, sie fährt für zehn Tage ein. Dafuq?

Nicht die einzige Ungereimtheit, die sie in den nächsten Tagen erlebt. Die Berufung? Nur ein kleines Schauspektakel. Ihr Entlassungstermin? Willkürlich. Und dann sind da noch die Visionen, die Anja rund um ihre Mitbewohnerinnen erlebt. Immer nachts, immer beim Wegdämmern. Geht da alles mit rechten Dingen zu – in ihrer Zelle und im russischen System?

Kira Jarmysch zeichnet ein intensives, prickelndes und – vielleicht nicht nur für Westeuropäer – oft fassungsloses Bild russischer Frauen. Von der zahnlosen Natascha, die bereits im Straflager saß, der mit 25 Jahren schon zweifachen Witwe Diana, der alkoholkranken Irka, der glamourösen Maya und eben Anja, der Hauptfigur.

Von ihrem Alltag im Knast, den Gesprächen mit den männlichen Insassen, irgendwo zwischen Flirt und Belästigung, übergriffig auf jeden Fall. Von ihrem Politikstudium und ihrem Außenministerium, das auf der Couch eines Diplomaten endete, während in der Barentsee die Kursk versank. Von ihrer Dreiecksbeziehung mit Sascha und Sonja. Und ihrer Familie, Eltern geschieden, Vater neu verheiratet und völlig aus ihrer Welt entflohen, bis er sie im Arrest besucht.

Dafuq ist ein hochpolitisches Buch, natürlich, Jarmysch arbeitet für Alexej Nawalny, ja, genau, den Nawalny, aber auch ein großartiger Roman über das Erwachsenwerden, über das Leben und die Liebe. Und über starke Frauen, die jede ihre Rollen gefunden und akzeptiert haben, auch wenn das für die anderen Frauen unfassbar und rätselhaft erscheint. Ein Kleinod voller Dafuqs – absolut lesenswert.