Leben auf engstem Raum

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roomwithabook Avatar

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Wie hält man es in einer Moskauer Arrestzelle aus? Die 28-jährige Anja hat an einer nicht angemeldeten Demonstration gegen staatliche Korruption teilgenommen und muss dafür eine zehntägige Arreststrafe absitzen. Ihre Zellengenossinnen sind ganz normale Frauen, die ebenfalls eher geringfügige Verbrechen begangen haben wie zum Beispiel das Fahren ohne Führerschein. Eine ist Alkoholikerin, eine ein optimiertes Wesen, das Ähnlichkeit mit einer Barbiepuppe hat und als Escortdame arbeitet. Eine weitere der Frauen ist mit Mitte zwanzig schon das dritte Mal verheiratet und Expertin in Beziehungsfragen. In den nächsten Tagen geben die Frauen einander Einblicke in ihr Leben und versuchen gleichzeitig, die eintönigen Tage in der Arrestzelle herumzubekommen. Anja stellt fest, dass der Aufenthalt nicht so schlimm ist, wie sie befürchtet hatte, sogar das Essen ist genießbar. Dazwischen erfahren wir immer wieder in Rückblenden etwas über ihr bisheriges Leben, zum Beispiel über ihre Dreiecksbeziehung zu Sonja und Sascha oder ihr Verhältnis zu ihrem Vater. Doch es gibt auch gruselige Momente, Anja hat häufig Alpträume oder Visionen, in denen ihre Zellengenossinnen zu angsteinflößenden Wesen werden. Als Leserin ist es nicht einfach, diese Episoden einzuordnen. Sind sie Realität oder wird Anja womöglich wahnsinnig?
Die Autorin Kira Jarmysch arbeitet seit 2014 als Sprecherin von Alexej Nawalny und würde selbst schon mal wegen Aufrufs zur Demonstration festgenommen. Man kann also davon ausgehen, dass sie weiß, wovon sie schreibt. Die Einblicke in die Lebensrealität von Frauen im heutigen Russland fand ich auch sehr spannend und gut recherchiert, trotzdem hatte der Roman einige Längen für mich. Möglicherweise lag es aber auch daran, dass ich aus Zeitmangel immer nur kurze Abschnitte lesen konnte, was dem Lesefluss sicherlich abträglich war. Insgesamt kann ich den Roman allen empfehlen, die sich für das Leben im heutigen Russland interessieren und eine ruhige Erzählweise mögen.