Russischer Arrest

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Anja kommt in den Arrest, weil sie an einer Demo teilgenommen hat und ihr unterstellt wird, dass sie diese mitorganisiert hat. Kein Wunder in Russland, wo man schon für Fahren ohne Führerschein einige Tage eingesperrt wird. Nun sitzt Anja mit ihren Mitinsassinnen in einer Zelle und erträgt die Langeweile, die noch schlimmer werden wird; das duldende Radio; die Anzüglichkeiten der männlichen Mitinsassen und die Schikanen der Diensthabenden. Der*die Leser*in begleitet Anja durch die zähen Tage, die gespickt sind mit den Leben der anderen Eingesperrten, die so völlig anders sind als ihres. Da ist Katja, die den Männern komplett abgeschworen hat; Irka, die ihren Körper für Alkohol verkauft; die stotternde Natascha; Diana, die mit 25 Jahren bereits zum dritten Mal verheiratete ist; Maja, eine künstlich perfektionierte Traumfrau, die allen Männern den Kopf verdreht und Alissa, die nur kurz verweilt. Doch am meisten erfährt man von Anja selbst, die lange Zeit in einer Art Dreiecksbeziehung lebte und im Arrest plötzlich unter seltsamen Träumen und Halluzinationen leidet.

Ich hatte mir mehr von Kira Jarmyschs Debüt erhofft. Zwar ist es ein gelungener Einblick in die Ungerechtigkeit Russlands, aber manche Sachen kann ich immer noch nicht nachvollziehen wie die Beziehung zu Sascha. Die etwas holprige Übersetzung macht es nicht leichter. Das Thema der Moiren, das ganz zum Schluss konkretere Züge annimmt, erscheint wie ein nachträglich hinzugefügtes Gewürz, um die Geschichte aufzupeppen und irgendwie abzuschließen. Manch gelungenes Sprachbild war allerdings vorhanden. Und nachdem ich nur die russische Klassiker, ausschließlich von Autoren kenne, war es erfrischend eine Frau zu lesen. Einige wichtige Aspekte wie die Korruption, die Einschränkungen der russischen Bevölkerung und die auch dort vorherrschende extreme Objektifizierung von Frauen waren sehr interessant und deutlich dargestellt. Trotzdem hat es mich nicht überzeugt, wie die berühmten Stimmen auf der Rückseite des Buches vermuten ließen.