Sechs Frauen, drei Stockbetten, eine Arrestzelle

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„‚Wie jetzt, müssen Demonstrationen genehmigt werden?‘ – ‚Ja, eigentlich schon.‘ – ‚Und wogegen hast du demonstriert?‘ – ‚Gegen die Korruption. Gegen die Regierung.‘ – ‚Und wo muss man das genehmigen lassen?‘ – ‚Beim Bürgermeisteramt.‘ – ‚Das heißt, man muss die Demo gegen die Regierung von der Regierung genehmigen lassen?‘, fragte Katja und stemmte die Arme in die Hüften. ‚Ich kack ab… Genehmigen die dann überhaupt mal was?‘“

Sechs Frauen, drei Stockbetten, eine Arrestzelle: In ihrem ersten Roman „DAFUQ“ inszeniert Kira Jarmysch, die als Sprecherin des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny bekannt ist, eine dramatische Tragikomödie über die politische Gegenwart von Frauen in Russland. Hier, auf den wenigen Quadratmetern des Moskauer Arrests, zwischen korrupten Anwält*innen und schlecht gelaunten Staatsbeamt*innen, prallen ihre Lebensrealitäten aufeinander, werden sie Gefährtinnen wider Willen.

Nach ihrer Festnahme, auf einer nicht genehmigten Demonstration gegen die Korruption der russischen Regierung, findet sich die 28-jährige Studentin Anja Romanova auf dem Moskauer Polizeirevier wieder – und wird am Folgetag zu ihrer Überraschung gleich im Schnellprozess verurteilt. Zehn Tage Arrest soll sie in einer beengten Gemeinschaftszelle mit fünf anderen Insassinnen verbringen. Zwischen Mahlzeiten und Hofgang, Duschen und Handyzeit – immer gemäß der Vorschriften, wenigstens aber nach Willkür der Aufseher*innen – vergehen die Tage hier nur schleppend. Und während Anja ihre Zeit nutzen will, um sich über ihre Vergangenheit (denn was ist eigentlich schiefgelaufen?) und Zukunft (irgendwas könnte sicher besser laufen?) klar zu werden, unterhalten sich die anderen über ihre Leben. Schnell wird klar, dass sie alle nur wegen kleiner Delikte einsitzen müssen: Natascha hat einen Polizisten beleidigt, Irka „vergessen“ ihre Alimente zu zahlen. Maja, Katja und Diana sind ohne Führerschein gefahren… – DAFUQ?!

Jarmyschs Debüt erschien bereits 2020 in einem regimekritischen russischen Verlag, wurde – zum Glück für die hiesige Leserschaft – nun von Olaf Kühl ins Deutsche übertragen und macht seinem Namen nun alle Ehre! „DAFUQ“ (Slang-Kürzel für „what the fuck“) ist gleichermaßen Bildungsroman, Milieustudie und Sitcom – und Jarmysch weiß mit ihren autobiografischen Färbungen sogar noch eine Schippe draufzulegen: ihre Erfahrungen sind echt, sie selbst wurde erst im Februar wegen Aufrufs zur Demonstration festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Jetzt hat sie den politischen Kampf in die Wohnzimmer ihrer Leser*innen verlegt und protestiert im Kleinen. Das ist aufregend, facettenreich und beklemmend-komisch! Trotzdem ist „DAFUQ“ kein rein politisches Buch, sondern eher ein vielschichtiges Soziogramm über weibliche Lebensentwürfe in Russland und eine zornige Abrechnung – so erhellend wie unterhaltend. Klare Leseempfehlung!