Willkür, Wut und Wahnsinn

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constanze_pachner Avatar

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"Zehn Tage Auszeit könnten Anja Romanowa gerade Recht sein, um ein paar Dinge in ihrem 28-jährigen Leben mit sich zu klären. Etwas ein verwirrendes Dreiecksverhältnis oder ihren missglückten Berufsstart im russischen Außenministerium mit seinen trinkfesten Zynikern. Nur verbringt Anja diese Zeit unfreiwillig mit fünf anderen jungen Frauen...im Moskauer Gefängnis wegen Ordnungswidrigkeiten. Anja selbst verbüßt eine zehntägige Strafe, weil sie zu einer Demonstration gegen Regierungskorruption aufgerufen hat." (Klappentext)

Ein politisch aktueller Roadtrip der besonderen Art liegt hier vor. Geht das, ein Roadtrip durch Russland hinter vier verschlossenen Wänden - ohne rasante Bewegungen? Definitiv, das geht, und wie! Klug, frech und wütend.

In vegetierenden Atemzügen müssen sich die Frauen einen Raum teilen, den sie in Szenarien mit ihren unterschiedlichsten Lebenswelten bedrohlich auszudehnen vermögen:

""Ich will keine Revolution", entgegnete Anja. "Ich will gut leben." - "Und jetzt, lebst du etwa schlecht? In Russland war das Leben noch nie so gut wie heute. Guck dir unsere Eltern an, Guck dir an, wie es in den Neunzigern war! Himmel und Erde! Wir sollten dankbar sein!"" 109

Die aus höflicher Distanz, vor Ehrlichkeit strotzende Erzählstimme verliert erst ihre Contenance, als die brodelnde Wut über die alles durchdringende Willkür eines Landes wahnsinnig zu machen droht. Ein Wahnsinn getränkt von Halluzinationen, der im 'finale grande' erlösende Kräfte mittels 'Spinnrad und Schere' frei legt.
Ja, wer ist hier denn des Wahnsinns? Der Leser, Anja oder beide? Lasst Euch überraschen!

(Der Debütroman erschien im Herbst 2020 in einem regimekritischen Verlag. Nach Nawalnys Rückkehr nach Moskau im Januar 2021 wurde auch die Autorin wegen Aufrufs zu Demonstration festgenommen.)