Ein Roman, weise wie ein erfahrener Elefant

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Bellinis (d. i. Lakshman Balachandra) Vater arbeitet als Mahut, als Führer seines Arbeitselefanten Dalee, wie jahrtausendelang seine Vorfahren vor ihm. Die Papiere des Großen Grauen weisen nach, dass er 1899 geboren ist und zur Zeit der Handlung 50 Jahre alt sein muss. Der Vater braucht keine Papiere, um zu wissen, dass seinem Gefährten die letzte Zahnreihe gewachsen ist und er nicht mehr fressen kann, wenn diese Zähne verbraucht sind. Da Dalee praktisch ständig Pflanzen fressen muss, wenn er gerade nicht arbeitet, hat der Vater vermutlich das Angebot angenommen, Kalkutta samt Frau und Söhnen zu verlassen und Dalee beim Holzrücken auf einer kleinen Andamanen-Insel arbeiten zu lassen. Bellini ist heute ein alter Mann, der sich erinnert, wie er als Elfjähriger beim Verladen der Elefanten auf einen rostigen Seelenverkäufer zusah und welche Ängste die Mahuts ausstanden, dass ihre Gefährten auf See unruhig werden könnten.

Auf der Insel gehen der erfahrene Mahut und sein Elefant der gewohnten Routine nach: Transport des ungeheuer wertvollen Tropenholzes aus dem Wald und sehr viel Fressen für Dalee, jeden Zentimeter der Elefantenhaut peinlich sorgfältig vom Mahut gepflegt bekommen und sehr wenig Schlaf für Mensch und Tier. Während der Arbeit wird „Bellini“ als Vaters Nachfolger angelernt. Sonst strolcht er im Dorf Maya Bandar herum und hängt Geschichtenerzählern an den Lippen, von denen er hört, dass die Insel einmal eine Strafkolonie für 700 Gefangene und einige Jahre japanisch besetzt war. Dalee ist so gut trainiert, dass der Vater ihm den Namen einer Insel nennen kann, zu der das Tier dann mitsamt dem Führer oder seiner Last durch die Andamanische See schwimmt. Als der Junge entdeckt, dass Dalee rapide altert, die Orientierung verliert und aggressiver wird, kann er sich nicht vorstellen, ohne Dalee zu sein. „Er ist ich, ich bin er“, hatte der Vater die Symbiose erklärt.

Dennis Gastmann versammelt in seinem berührenden Roman eine Menge Elefantenwissen, das Bellini durch die Erzählungen der Erwachsenen sammeln konnte. Die Perspektive des jungen Icherzählers beschränkt sich auf Gehörtes und Erlebtes, von den Hintergründen des Holzabbaus durch ausländische Konzerne kann er nichts wissen. Die Handlung wirkte auf mich anfangs wie in der Strömung bewegte Wasserpflanzen, die wie verwunschene Fabelwesen mal hierhin mal dorthin trieben, ehe sich die Geschichte zusammenfügte. Natürlich bekommt auch das weiße, deutsche Ehepaar Frisch sein Fett weg, das mit Möbeln, einer Badewanne und allerlei dschungeluntauglichem Besitz eintrifft, als Kurt Frisch den Direktorenposten übernimmt und die indischen Mahuts deutsche Gründlichkeit lehren will. Die armen Leute haben nur einen einzigen Gott, stellt Bellini mitfühlend fest ...

Die Abholzung des wertvollen Baumbestandes auf der Insel hat mich sehr nachdenklich zurückgelassen. Die Reichtümer der Welt pflegen und schätzen können Menschen offenbar nicht, wenn sie gleichzeitig reich werden wollen. Ein wunderbares Buch, das ich betont langsam gelesen habe, um länger etwas davon zu haben.