Leinwandreife Story

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angie99 Avatar

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Wäre ich eine berühmte Filmregisseurin, hätte ich mich nach spätestens 200 Seiten „Dalee“ hinters Telefon geklemmt, um mir die Filmrechte zu sichern! Denn Dennis Gastmann erzählt hier eine mitreißende Geschichte in so bildhaften Szenen, als würden sie nur darauf warten, auf die Leinwand gebracht zu werden: abenteuerliche Szenen einer Schiffsfahrt über das weite Meer und der Besiedlung eines menschenleeren Archipels, anrührende Szenen von der Freundschaft zwischen Elefanten und ihren Mahuts, exotische Szenen eines quirligen Basars samt Elefantenrennen, märchenhafte, absurde, gefährliche, schmerzvolle und idyllische Szenen… Sie alle mit dicken, saftigen Pinselstrichen gemalt vor opulent ausgestatteten Kulissen oder einfach nur atemberaubend schöner Naturgewalt, üppig an Farben, Formen, Eindrücken, Gerüchen und Kontrasten.
(Das Einzige, was fehlt, ist: Sex & Crime. Und siehe da: niemand vermisst es!)

Dieses Buch ist ein Fest für die Vorstellungskraft, die einen über den Indischen Ozean auf die andanamischen Inseln bringt. „Die dritte Insel, die vorüberzog, glich einer Meeresschildkröte, deren Panzer mit Kokospalmen bewachsen war Als würde sie gleich den Kopf aus der Strömung heben und sich schwimmend von dem Dampfer entfernen, der die Andamanensee auf seiner Reise durchquerte. Es schien so viele Inseln zu geben, dass wir an jedem Tag im Jahr eine neue erkunden könnten, ohne dasselbe Land zweimal zu betreten.“ (S. 128)

Hin und wieder wird diese Vorstellungskraft jedoch überstrapaziert, denn viele Dinge oder Vorkommnisse umschreibt der Autor, ohne den Kern der Sache offen auszusprechen. So vermeidet er gekonnt Plattitüden, bleibt jedoch manches Mal auch zu vage.

Die Figuren – allen voran der Hauptprotagonist, der 11jährige Bellini – bleiben mir distanziert, als würden sie nur von weitem auf dem Bildschirm flimmern.

Sprachlich sitzt Dennis Gastmann ganz souverän auf dem Genick seines Buch-Elefanten: auf beeindruckende Weise verbindet er die fiktive Geschichte mit realen Begebenheiten und detaillierten Kenntnissen über die größten Landtiere und ihre menschlichen Begleiter. Auch Geschichte, Kultur und Religionen Indiens werden gekonnt im Text verwoben. „Die Holzfäller saßen auf dem Waldboden, rings um den Stamm eines Pipals, der fünfzig Fuß hoch in den Himmel ragte. Sie hatten den heiligen Feigenbaum in den Stunden der Dämmerung freigeschlagen, und nun stand er da ohne Büsche und Sträucher wie ein König ohne Untertanen, während die Männer ihn lobpreisten. Asche auf der Stirn, die Hände vor der Brust gefaltet, die Augen fest verschlossen. (…) ‚Wer in Indien einen Baum fällt, Sir, der begeht eine Sünde namens Suna. Darum bitten wir Aranyani, die Göttin des Waldes, um Vergebung.‘“ (S. 234)

Allen, die sich für Elefanten interessieren und / oder erlebnisreiche, warmherzige Geschichten vor exotischen Kulissen mögen, kann ich dieses Buch wärmstens ans Herz legen.

„‘Es heißt doch, ein Elefant vergisst nie. Das sagt man doch so, oder nicht?‘ ‚Märchen, Junge. Märchen von Menschen, die nicht wissen, wovon sie sprechen. Die Leute schauen nur, aber sie sehen nicht. Ein Elefant ist ein denkendes Wesen. Und wer denken kann, der vergisst auch…“ (S. 306)

Derweil warte ich ungeduldig, bis „Dalee“ (von jemand anderem) verfilmt wird!