Psychomärchen - Märchenthriller?

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anonymous Avatar

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Jedenfalls kein Psycho-Thriller, soviel steht mal fest. Eine unterhaltsame Lektüre war "Darling Jim" aber trotzdem.

Moerks Roman beginnt mit dem Fund dreier toter Frauen in einem Haus im irischen Malahide, deren mysteriöse Todesumstände durch die hiesige Polizei nicht aufgedeckt werden können. Lediglich die Identität der Leichen wird geklärt: es handelt sich um die zwei völlig verwahrlosten Schwestern Fiona und Roisin Walsh und deren Tante Moira, die die jungen Frauen offenbar in ihrem Haus gefangen gehalten hatte. Durch Zufall gelangt der Postbote Niall in den Besitz des Tagebuchs der verstorbenen Fiona, in dem sie die Geschehnisse schildert, die zu der Tragödie in Malahide geführt haben. Vom Schicksal der Walsh-Schwestern ergriffen, macht er sich auf den Weg zu dem Ort, in dem alles begann, um auch Roisins Tagebuch zu finden und das Ende der Geschichte zu erfahren. Dabei gerät er immer wieder in Schwierigkeiten, kann jedoch letztendlich das blutige Geheimnis der Familie Walsh lüften.

Der Roman ist in einzelne Abschnitte untergliedert, in denen jeweils die Erzähl-Perspektive wechselt: die in der Gegenwart spielenden Episoden sind aus Sicht des Er-Erzählers (Postboten Desmond und Niall), die in der Vergangenheit spielenden Episoden aus Sicht des Ich-Erzählers (Fiona und Roisin Walsh) geschrieben. Die Perspektiven-Wechsel sind dem Autor dabei hervorragend gelungen. Die Charaktere sind dermaßen toll ausgebaut, dass ich gegen Ende das Gefühl hatte, die Walsh-Schwestern seit Jahren zu kennen ![](http://www.vorablesen.de/modules/fckeditor/fckeditor/editor/images/smiley/msn/wink_smile.gif)

Beim Lesen habe ich mich gefühlt, als würde ich stets in die präsente Rolle schlüpfen und z.B. tatsächlich gerade das Tagebuch der Schwestern in der Hand halten. Die Schwestern sprechen den Finder ihrer Tagebücher direkt mit "Du" an, und gleichzeitig war mir, als würde ich selbst von ihnen angesprochen werden. Ich kann es kaum beschreiben, habe aber schon lange kein Buch mehr gelesen, das mich so stark ins Geschehen gezogen hat.

"Darling Jim" mutet mit Kapitel-Namen wie "Der gelähmte Prinz" und teilweise seitenlangen Ausführungen über irische Sagen insgesamt sehr märchenhaft an. Häufig ist von Rittern, Prinzen, Wölfen und Zauberern die Rede, was für mich bis zum Schluss recht gewöhnungsbedürftig war. Für einen Roman, der im ländlichen Irland spielt, ist die märchenhafte Welt, die Moerks erschafft, wohl ganz passend - in einem Psycho-Thriller aber völlig fehl am Platz.

**FAZIT:** Moerks Schreibstil, die Story an sich und das "Gerüst" des Buches (also die Aufteilung in Sequenzen aus der Gegenwart und Rückblenden in die Vergangenheit in Form der Tagebücher) fand ich absolut gelungen! Der kitschige, märchenhafte Touch, der sich konstant durch das ganze Buch zieht, hat mir den Lesespaß hingegen ein bißchen verdorben. Ich würde "Darling Jim" trotzdem jedem weiterempfehlen und vergebe 4 von 5 Sternen.