Längst nicht alles ist so, wie es den Anschein haben mag.

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elke seifried Avatar

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Deutet das Cover ja eigentlich eine romantische Liebeskomödie an, findet man hier allerdings zwischen den Buchdeckeln einen Roman über eine völlig verstörte, ja teilweise schon fast Hassliebe zwischen einer Mutter und ihrer Tochter.

Nach fünf Jahren Gefängnis wird Patty entlassen und auch wenn sie dazu wegen Kindesmisshandlung verurteilt wurde, hat sich ihre Tochter Rose Gold dazu bereit erklärt, sie erst einmal bei sich aufzunehmen. »Schatz, wenn man fünf Jahre für etwas im Gefängnis gesessen hat, was man nicht getan hat, dann muss man die verlorene Zeit so schnell wie möglich aufholen« Patty hat eigentlich vor, sich mit ihrer Tochter zu versöhnen, oder hat doch eher Rose Gold Recht, die meint, ihre Mutter möchte nur wieder alle Zügel in der Hand halten?

Die Autorin spielt hier mit zwei verschiedenen Handlungssträngen. Im Jetzt ist man als Leser mit Patty, dieser auf den ersten Blick eigentlich sympathisch wirkenden Frau, bei der Gefängnisentlassung mit dabei, wird mit ihr von Tochter Rose Gold abgeholt und dann mit der Tatsache überrascht, dass diese Pattys Elternhaus, an das die böse Erinnerungen hat, gekauft hat. Was beabsichtigt Rose-Gold damit? Wird es einen Weg geben, ihr Vertrauen wieder zu gewinnen, wird sie Patty wieder an sich und an Adam, der erst zwei Monate vorher zur Welt kam, heranlassen und hat sie eine gemeinsame Zukunft mit und bei ihrer Tochter? Das wird ebenso wenig verraten, wie das was Rose Gold in einem zweiten Handlungsstrang, beginnend fünf Jahre vor der Entlassung, über ihre Kindheit und die Jahre, als ihre Mutter in Haft saß, berichtet. Nur so viel vielleicht noch, hier gibt es mehr als genug Schockierendes und längst ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick scheint.

Die Autorin hatte mich mit ihrem eindringlichen Schreibstil sehr schnell in ihren Fängen. Kann ich der sympathischen Frau, die ihre Tochter ganz offensichtlich liebt tatsächlich zutrauen, dass sie ihre Tochter jahrelang vergiftet hat, um sie von sich abhängig zu machen? Jegliches Mitleid mit Rose-Gold war schnell da. Was musste das Mädchen mitgemacht haben, eine Odyssee von einem Arzt zum anderen, ein einsames, sieht man von der Mutter einmal ab, Leben, gefesselt an den Rollstuhl, weil zu schwach, um auf eigenen Beinen zu stehen. Aber je mehr ich Rose-Gold erleben durfte, desto größer wurden meine Zweifel, mein Entsetzen und desto kleiner wurde mein Mitleid. Ich habe gebannt gelesen, bis ich am Ende wusste, was damals geschehen ist und was Mutter und Tochter jetzt tatsächlich beabsichtigen. Stephanie Wrobel spielt hier ganz gekonnt mit den Emotionen ihrer Leser, baut gelungen Vorurteile auf, die sie dann wieder revidieren lässt und zeichnet dabei zwischen Gut und Böse zahlreiche Schattierungen. Teilweise habe ich tief schockiert gelesen. „Als Rose Gold grinst, überkommt mich der wenig mütterliche Drang, ihr das Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen. (Sehen Sie? Ich gestehe meine Unzulänglichkeiten ganz ehrlich ein.)“, wie kann eine Mutter nur so etwas denken? Hin und wieder musste ich auch über die so enorme Dreistigkeit, über mehr als ausgebuffte Rachepläne fast schon schmunzeln. Wenn ich an »Wo zum Teufel ist meine Augenbraue geblieben?«, brüllte Alex, als sie uns sah. »Ich weiß echt nicht, wie das passiert ist«, beteuerte Whitney panisch und verstört. »Sie… ist einfach abgegangen.«, denke, fehlen mir fast jetzt noch die Worte. Die Autorin beschreibt mit vielen Bildern und Vergleichen, sodass man sich alles äußerst gut vorstellen kann. „Ihre Zähne sind kreuz und quer gewachsen und erinnern an alte Grabsteine auf einem Friedhof. Außerdem haben sie unterschiedliche Gelbtöne: von Eierpunsch bis Dijonsenf. An den Wurzeln sind einige schlammbraun; und die Spitzen sind uneben und schartig. Als meine Tochter mich anlächelt– nein, angrinst–, erinnert sie mich an einen Halloween-Kürbis. Andere finden diese Zähne vielleicht grässlich. Mir hingegen erzählen sie eine Geschichte. Sie erinnern mich daran, wie der Zahnschmelz jahrelang durch Magensäure zersetzt wurde.“, oder der „Tattergreis– der bereits alt gewesen sein musste, als das Tote Meer noch krank war– versuchte zu feilschen. Dieses Fossil behauptete glatt, …“ sind nur zwei Beispiele dafür.

Äußerst gelungen empfinde ich auch die originelle Charakterdarstellung. Dadurch, dass mit zwei Handlungssträngen gespielt wird, und man sowohl Patty als auch Rose Gold aus der Ich-Perspektive erleben kann, ist man beiden sehr nah. Die Autorin lässt erst nach und nach das wahre Ich der beiden erkennen und das macht die Figurenzeichnung so interessant und spannend. Auch alle anderen Mitspieler sind authentisch entworfen, bei der besorgten Nachbarin Mary Stone angefangen, über die ehemalige Freundin Alex für die, nachdem sie die Großstadtluft entdeckt hat, das hässliche Entlein Rose Gold nichts mehr zählt oder die Bevölkerung der Kleinstadt, die Patty jegliche Ablehnung entgegenbringt, bis hin zum todgeglaubten Vater, der zwischen den Stühlen sitzt.

Alles in allem ein von Anfang bis Ende fesselnder Roman, der mit eindringlicher Charakterdarstellung zu überzeugen weiß, einige Überraschungen parat hat und gelungen von einer verstörten Mutter-Kind Beziehung erzählt. Von mir gibt es da ganz klar fünf Sterne.