Bewundernswertes Pflegekind

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dj79 Avatar

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Alem ist ein Junge mit drei Vätern und einer Mutter mit traditionellem Familienbild. Seine Mutter Smilja, träumte schon immer von einem besseren Leben, weswegen sie ihre Heimat Jugoslawien verlässt, um in Deutschland zu arbeiten. Dort lernt sie Emir, Alems Vater, kennen. Emir denkt gar nicht daran, einem geregelten Job nachzugehen, als Kleinkrimineller besorgt er sich das Geld, das er zum Feiern braucht. Damit sie Alem nicht mit dem unfähigen Vater allein lassen muss, gibt Smilja ihren Sohn in die Obhut einer deutschen Pflegefamilie.

Bei den Behrens, Marianne und Robert, wächst Alem gemeinsam mit den jüngeren Behrens-Kindern und weiteren Pflegekindern recht behütet auf. Die Pflegefamilie wohnt in einem schönen großen Haus mit Garten, warme Mahlzeiten gibt es mittags und abends. Jedes zweite Wochenende fährt er zur Mutter, die bald schon einen neuen Partner hat. Dort spielt sich fast das ganze Leben in einem einzigen Zimmer ab. Süßigkeiten und Fernsehen bestimmen jeweils den Aufenthalt. Jeden Sommer fährt Alem mit seiner Mutter zu den Großeltern nach Jugoslawien.

In der direkten Gegenüberstellung der unterschiedlichen Kulturen wird deutlich, wie stark verwachsen wir jeweils mit den traditionellen Ansichten unserer Vorfahren bzw. unserer eigenen Vergangenheit sind. Die Deutschen, Marianne und vor allem Robert, hängen noch immer dem Nationalsozialismus nach und verharmlosen den Holocaust. Sie sehen vordergründig das positive dieser Zeit, die eigene Jugend. Smilja emigriert zwar nach Deutschland, um sich ein besseres Leben zu erarbeiten, bleibt aber durch die Partnerwahl in ihrer jugoslawischen Blase hängen. Zudem scheint Smiljas Erziehung eine ihrerseitige Auflösung einer eingegangenen Beziehung nicht zuzulassen. Nach dem Tod Titos kommen auch unterdrückte Feindseligkeiten zwischen den jugoslawischen Volksgruppen zurück, spontan können Freundschaften nichtig werden. Alem hat diese Unzulänglichkeiten der verschiedenen Kulturen schon als Kind, später noch deutlicher als Jugendlicher spüren und wahrnehmen können. Durch seine Geschichte werden diese Denk- und Verhaltensweisen ins Bewusstsein der Leser*innen übertragen, die ihrerseits vielleicht einen Anstoß zur Reflexion ihrer eigenen Haltung erfahren.

Am Stil des Autors hat mir die Aufteilung in drei Bücher gefallen. Er lenkt den Fokus dadurch auf die jeweils im Vordergrund stehende Person. Gut war für diese Geschichte darüber hinaus, dass sie kontinuierlich im Zeitverlauf erzählt wurde. Das stilistisch Beste war für mich allerdings die gefühlvolle Sprache, die gleichzeitig frei von Schnulzigkeit war.

Da mich sowohl die Geschichte selbst als auch die Sprache fasziniert haben, empfehle ich den Roman gern weiter.