Außergewöhnliches Debüt!

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throughmistymarches Avatar

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Was für ein grandioses Debüt. Zart und kraftvoll zugleich. Ein philosophisches Gedankenexperiment in poetischer Sprache; es inspiriert, es fordert, es ist voller Hoffnung und hoffnungslos, es ist eine ganz andere Welt und doch wirkt sie so nah.
Die Verbindung wird geschaffen durch Odile, die Protagonistin. Zunächst lernen wir sie als 16jährige kennen, sie ist in der Schule, eine Außenseiterin, sie ist zum ersten Mal verliebt, sie und ihre Mitschüler:innen stehen vor der Entscheidung, welche Berufe sie ergreifen werden. So weit, so „normal“. Dann erkennt sie in vermummten Gestalten die Eltern ihres Freundes Edme. Sie weiß, was das bedeutet: Edme wird sterben.
Denn seine Eltern sind Besuchende aus dem Tal östlich von Odiles Tal. Ein identisches Tal, allerdings 20 Jahre in der Zukunft. Sie sind gekommen, um ihren Sohn noch einmal zu sehen. Auch im Westen gibt es das Tal, 20 Jahre in der Vergangenheit. Über die Berge kann man jeweils dorthin gelangen, doch die Grenzen sind bewacht, man darf nicht alleine reisen. Entscheidungen im jeweiligen Tal, auch die, wer ein anderes Tal besuchen darf, trifft das Conseil.
Natürlich bereitet es Kopfzerbrechen, wenn man anfängt zu überlegen, wie genau das Reisen in die anderen Täler funktioniert, wie viele Versionen es jeweils östlich und westlich gibt. Doch Autor Scott Alexander Howard macht es seinen Leser:innen zumindest dahingehend leicht, dass er immer bei Odile bleibt. Sie ist sozusagen die Verbindung zwischen den Tälern.
Viele Themen werden behandelt: Liebe, Verlust und Trauer, Freiheit, Macht, Schicksal, …
Das Wissen über Edmes Zukunft wirkt sich schicksalhaft auf Odiles Leben aus. Gleichzeitig ist da, angedeutet, immer die Möglichkeit Einfluss zu nehmen und den Zeitstrahl zu ändern und damit nicht nur Edmes Schicksal, sondern auch Odiles.
„Das andere Tal“ ist ein außergewöhnliches Erstlingswerk, dass mich immer wieder an Kazuo Ishiguro erinnerte, aber doch ganz individuell ist.