Durchdachte Dystopie

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ellinorliest Avatar

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Nach dem ich die ersten paar Seiten gelesen hatte, war ich mir sicher, dass Das andere Tal Der Hüter der Erinnerung 2.0 wird. Dort gibt es auch diese abgeschlossene Gemeinschaft, man ahnt, dass nicht alles so ist, wie es nach außen dargestellt wird, und die Jugendlichen müssen eine bestimmte Berufswahl treffen. Doch dann nimmt Das andere Tal plötzlich eine Wendung, die ich so wirklich nicht erwartet habe. Und noch eine. Und noch eine. Ich bin absolut begeistert! Vor allem auch deswegen, weil alles so gut durchdacht ist. Natürlich gibt es offene Punkte (was ist mit Norden und Süden, wieso gibt es nicht mehr Widerstand). Doch anders als in den meisten Dystopien wird sehr viel mehr erklärt, die Entwicklungen sind nachvollziehbar und nicht an den Haaren herbeigezogen. Im Interview am Ende des Buches erklärt Scott Alexander Howard auch, dass ihm dies so wichtig war.
Die Geschichte wird sehr langsam erzählt, was meiner Meinung nach auch einer der Gründe für die Logik des Ganzen ist: häufig kämpft plötzlich ein Teenager allein gegen ein ganzes jahrelang aufgebautes System und wird über Nacht zum Helden. So etwas gibt es hier nicht. Odette, die Protagonistin, wächst ganz normal auf und nach einem für sie prägenden Ereignis nimmt ihr Leben eine ganz andere Wendung. Erst zwanzig Jahre später beginnt langsam ein Prozess, der etwas ändert.
Für mich ist Das andere Tal ein großes Highlight, ein Buch, dass noch ein Geheimtipp ist. Es ist ein sehr geglücktes Gedankenexperiment. Man merkt die viele Zeit, die sich der Autor beim Schreiben genommen hat. Er schreibt aktuell an seinem zweiten Roman. Dafür darf er sich gerne ebenfalls Zeit lassen, auch wenn ich das Buch natürlich gerne bald lesen möchte. Aber lieber wieder eine großartige Geschichte in ein paar Jahren, als ein mittelmäßiges Werk in Kürze.