Philosophie im Mantel der Zeitreisen

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aischa Avatar

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Zunächst klingt der Plot wie eine klassische Dystopie: Die 16jährige Odile wächst in einer repressiven Gesellschaft mit wenig persönlicher Freiheit auf; besonders ist, dass man nicht nur geografisch, sondern auch durch die Zeit reisen kann: Das eingezäunte Tal liegt westlich scheinbar identisch vor, nur dass es um exakt 20 Jahre in die Vergangenheit versetzt ist, im Osten schließen sich weitere Täler an, die jeweils einen Zeitsprung von zwei Dekaden in die Zukunft ermöglichen.

Die Obrigkeit, das sogenannte "Conseil" entscheidet über die Anträge der Bewohner, Besuche in ihrer Vergangenheit oder Zukunft machen zu dürfen, das Ganze ist aufs strengste reglementiert, um den Verlauf des Schicksals nicht zu beeinflussen.

Howards Roman - ein in jeder Hinsicht beeindruckendes Debüt - kreist dabei um die Frage: "Was würdest du tun, wenn du die Vergangenheit ändern könntest?" Der Plot ist durchaus anspruchsvoll, um nicht zu sagen herausfordernd. Es ist sicher keine Geschichte, die man eben mal nebenbei liest, nein, hier ist volle Konzentration gefordert. Ansonsten kann man bei den Zeitreisen und den damit verbundenen Vorschriften und möglichen Konsequenzen schnell mal den Durchblick verlieren. Zumal der Autor nicht nur mit unseren vertrauten Vorstellungen von Linearität, Ort und Zeit spielt, sondern auch geschickt philosophische Fragestellungen in die Geschichte einflicht. Howard, seines Zeichens promovierter Philosoph, lässt dabei technologische Aspekte der Zeitreisen völlig außen vor, ihm geht es um die menschlichen Aspekte und gesellschaftlichen Konsequenzen dieses Gedankenspiels, Facetten, die mich an Werke Kazuro Ishiguros erinnert haben. Wer sich fragt, wie soll das alles gehen, wird wenig Antworten finden; wer sich gerne damit beschäftigt, welche Folgen das Zeitreise-Konstrukt haben kann, bekommt reichlich Diskussionsstoff geliefert.

Dies kann etwas verunsichern, aber auch zu wirklich neuen, geradezu existenziellen Reflektionen anregen, wenn man sich darauf einlässt. "Das andere Tal" ist keine einfache, aber eine ungemein bereichernde Lektüre über Zeit und Liebe, Macht und Moral.