Philosophischer Roman.

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Die sechzehnjährige Odile Ozanne lebt an einem magischen Ort. Würde sie ihr Tal nach Osten und Westen verlassen, so kommt sie jeweils in ein Tal, welches sich optisch nicht von ihrer Heimat unterscheidet. Der einzige Unterschied der Täler ist die Zeit – in den anderen Tälern geschieht alles 20 Jahre zeitversetzt. Eine Reise nach Osten oder Westen ist allerdings nur in Ausnahmefällen und mit vorheriger Genehmigung möglich. Die Grenzen werden gut bewacht und über das Passieren entscheidet das Conseil. In diesem Conseil beginnt Odile eine Ausbildung und entscheidet im Verlauf des Buches schließlich selbst über die Anträge, ob ein Mensch die Grenze passieren darf, um in ›das andere Tal‹ zu gelangen.

Durch die Zeitreisen wird es beispielsweise für Hinterbliebene möglich, einen Menschen der im eigenen Tal bereits verstorben ist nochmal zu treffen, da die Person im anderen Tal durch die Zeitverschiebung noch am Leben ist.

»Er [Der Hinterbliebene] trauerte schon länger, als ich am Leben war« (S. 67).

Scott Alexander Howard lädt die Leser:innenschaft in seinem Debütroman »Das andere Tal« zu einem spannenden Gedankenexperiment ein. Im Buch wird an vielen Stellen deutlich, dass der Autor in Philosophie promoviert hat. Beim Lesen steht nicht nur Odile immer wieder vor Entscheidungen, die ihren ethisch-moralischen Kompass ins wanken bringen, auch ich verharre in meinen eigenen Gedanken und überlege, wie ich an Odiles Stelle entscheiden würde.


Leider verliert sich der Autor stellenweise in Detailerzählungen über Randfiguren, die in der Geschichte erst wieder am Ende aufgegriffen werden und meiner Ansicht nach hätte hier eine Verknappung der Informationen nicht geschadet. Diese ausufernden Details sind für das Ende zwar wichtig, um die Geschichte abzurunden, bringen mich während des Lesens jedoch aus dem Fluss, da ich dadurch das Interesse an der Geschichte verliere. Auf der anderen Seite bleiben bestimmte Informationen im Verborgenen. Zu welcher Zeit der Roman spielt und an welchem Ort wird nicht genannt – die eigene Phantasie entscheidet!

Spannend ist für mich beim Lesen vor allem die Entwicklung von Odile. Während sie zu Beginn der Geschichte als schüchternes und unbeschwertes sechzehnjähriges Mädchen agiert, welches nicht so richtig in die Klassengemeinschaft passen mag, entwickelt sie sich im Verlauf zu einer erwachsenen Frau, die durch ihre Stellung innerhalb des Conseils erfährt, dass die Freiheit an der Spitze der Hierarchie sehr dünn wird.

Am Ende bleibe ich mit einem Debüt zurück, das mich nur so halb begeistern konnte. Die Idee gefällt mir nach wie vor sehr, aber die Umsetzung hätte in meinen Augen keine 464 Seiten gebraucht.