Wenn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig existieren

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petris Avatar

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Stellt euch vor, ihr wohnt in einem Tal und in den Nachbartälern gibt es den gleichen Ort. Nur getrennt durch einen Zaun, einen Wald, einen Berg. Im eigenen Tal herrscht die Gegenwart und in den Nachbartälern ist es 20 Jahr früher und auf der anderen Seite 20 Jahre später. Was für eine Vorstellung.
Die Grenzen sind streng bewacht, für Ordnung sorgt das Conseil. Aber es gibt Ausnahmegenehmigungen. Ab und zu darf jemand die Nachbartäler besuchen, um noch einmal einen geliebten verstorbenen Menschen zu sehen, um die Enkelin kennenzulernen, die man nicht mehr erleben wird. Nicht jedes Gesuch wird genehmigt, das Risiko für Störfälle ist groß.
Die Besucher sind durch schwarze Masken anonymisiert und doch kommt es immer wieder vor, dass sie erkannt werden. Angst und Unruhe erzeugt ihr Auftauchen sowieso immer, denn jeder weiß, was es bedeutet und fragt sich, für wessen Tod sie wohl die Vorboten sind.
Odile ist eine junge, schüchterne Frau. Intelligent, aber sie hat Schwierigkeiten, Kontakte zu knüpfen. Ihre Mutter ist eine verbitterte Frau, von der wenig Zugewandtheit und Empathie kommt. Sie will, dass sich Odile für eine der wenigen Stellen im Conseil bewirbt. Nur das scheint ihr wichtig zu sein. Als sie eines Tages zwei der Masken sieht und sie auch noch als die Eltern eines Freundes erkennt, bringt das ihr Leben durcheinander.
Es ist ein autoritäres, frauenfeindliches System. Man muss sich an die Regeln halten, darf nicht zu viel hinterfragen.
Dieser Roman ist ein spannendes Gedankenexperiment, wie viel Freiheit gibt es oder ist ohnehin alles vorherbestimmt? Wie sehr kann man sich einem System unterordnen? Gibt es einen Leidensdruck, der einen mutig macht?
Ich fand den Roman sehr spannend, vor allem der erste Abschnitt hatte einen starken Sog. Dazwischen hatte er allerdings Längen. Und das sehr gelungene Ende kam mit der (ziemlich vorhersehbaren) Wendung sehr spät. Ich hatte ein wenig den Eindruck, der Autor wollte die Spannung künstlich in die Länge ziehen. Zumindest bei mir ist ihm das nicht ganz gelungen.
Ein lesenswerter Roman, eine interessante Idee, teilweise sehr spannend geschrieben. Kein Lieblingsbuch, aber ein Buch, das ich gerne gelesen habe.