Zwischen Büchern, Schatten und Schuld

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Kai Meyer entführt in seiner Leseprobe zu „Das Antiquariat am alten Friedhof“ in ein Leipzig, das gleichermaßen von Magie, Geschichte und moralischer Dunkelheit durchzogen ist. Schon die ersten Seiten entfalten eine dichte Atmosphäre – das legendäre Graphische Viertel mit seinen Druckereien und Antiquariaten erscheint wie ein pulsierendes Herz der Buchwelt, später vom Krieg ausgelöscht und doch voller Erinnerungen, die durch die Handlung geistern.

Der Roman wechselt geschickt zwischen zwei Zeitebenen: 1930, als vier junge Männer aus wohlhabenden Familien – Felix, Vadim, Julius und Eddie – aus Langeweile einen „Club Casaubon“ gründen und zu Bücherdieben werden, und 1945, als Felix, nun amerikanischer Bibliothekar, in das zerstörte Leipzig zurückkehrt. Diese Bruchstelle zwischen jugendlicher Hybris und postkriegsbedingter Schuld ist faszinierend angelegt: Bücher werden hier nicht nur als Objekte der Begierde, sondern als Träger dunkler Macht und verborgener Wahrheiten inszeniert.

Meyer schreibt in gewohnt bildgewaltiger, atmosphärisch dichter Sprache. Orte wie das Kloster auf Patmos oder das Antiquariat am alten Friedhof wirken so plastisch, dass man den Staub auf den Buchrücken und den Rauch vergangener Zeiten beinahe riecht. Gleichzeitig gelingt es ihm, historische Fakten mit mythischen Andeutungen zu verweben – etwa in den Gesprächen über die Apokalypse, die schon im Prolog wie ein Leitmotiv anklingen.

Besonders reizvoll ist der Niederschlag der Geschichte in der Literatur selbst: Leipzig, die „Bücherstadt“, wird zum Spiegel einer Epoche, in der Bildung, Macht und Verderben eng miteinander verknüpft sind. Auch die Region und ihre Melancholie – der alte Johannisfriedhof, das Nebelmeer des Graphischen Viertels – verleihen der Geschichte eine fast unheimliche Heimatnähe.

Diese Leseprobe macht neugierig auf mehr: auf ein Buch, das zwischen Historie, Okkultismus und menschlicher Tragödie balanciert – ein typischer Kai Meyer also, elegant, geheimnisvoll und tiefgründig.