Bücher, Geheimnisse, Freundschaft, Verrat und Spannung im grafischen Viertel Leipzigs

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„Das Antiquariat am alten Friedhof“ von Kai Meyer hat ein wunderschönes Cover, das die Atmosphäre im Buch wunderbar einfängt. Die Liebe zu Büchern wird bereits ersichtlich, aber auch die geheimnisvolle und düstere Stimmung der Geschichte wird bereits in Sepiafarbe vermittelt – rundum ein wirklich tolles und stimmiges Cover!

Die Geschichte erzählt auf zwei Zeitebenen von faszinierenden Geheimnissen im grafischen Viertel Leipzigs.
Im Jahr 1930 lernen wir 4 junge Männer aus wohlsituierten Familien kennen, die ihre Tage im Antiquariat verbringen, lesen, diskutieren und aus Langeweile den „Club Casaubon“ gründen. Sie werden zu Bücherdieben und mit der Zeit unweigerlich immer tiefer in die Pläne starker Mächte hinein gezogen, denen sie nicht entkommen können…
Fünfzehn Jahre später begleiten wir einen der jungen Männer von damals, der inzwischen als Bibliothekar für die Amerikaner arbeitet zurück nach Leipzig. Die Stadt seiner Kindheit ist völlig zerstört vom Krieg und seine Freunde von damals sind verschollen oder nicht wiederzuerkennen. Er gerät in ein undurchsichtiges Netz aus Intrigen, Geheimnissen und Machtspielen, das seinen Ursprung in den dunklen Facetten seiner Vergangenheit hat.

Ich kenne bereits die drei vorher erschienenen Bänder aus dem Kosmos des grafischen Viertes von Leipzig, die Kai Meyer in den letzten Jahren veröffentlicht hat und war von allen Geschichten begeistert. Auch dieser vierte Teil, der sich, wie alle anderen Bücher auch, völlig unabhängig lesen lässt, hat mich wieder sehr in seinen Bann gezogen und es ist mir schwer gefallen das Buch während der Lektüre noch aus der Hand zu legen. Kai Meyer versteht es unglaublich gut eine ganz eigene Welt um seine Charaktere herum zu kreieren und sie in einer Atmosphäre zu verorten, die den Leser vollkommen gefangen nimmt. Die Stimmung ist düster, die Figuren werden von Bedrohungen und Sorgen heimgesucht, menschliche Abgründe und Machtgefälle werden ausgelotet, aber auch Freundschaft und Liebe sind allgegenwärtig – dadurch entsteht eine mystische Spannung, die fesselt und mich manchmal sogar erschauern lässt.

Ein ganz besonderes Element dieser Geschichtenreihe ist das grafische Viertel an sich, denn der Autor nutzt die kohlerauchgeschwängerte Luft, den dadurch entstehenden Nebel und die alt-ehrwürdigen Häuser dieses Stadtteils, der der Herstellung und Vermarktung von Büchern verschrieben ist, als eigenständiges und präsentes Grundelement, ja ich würde fast schon sagen, als besondere Persönlichkeit. Nur durch diese Umgebung, die er immer wieder detailliert und atmosphärisch beschreibt, erhalten die einzelnen Szenen eine solche Dichte und Zusammengehörigkeit und nur dadurch entsteht dieser ganz eigene Kosmos mit der düsteren Stimmung, der die Geschichte auf eine ganz besondere Weise trägt.

Ich mag auch die Erzählweise und Sprache von Kai Meyer sehr. Wenn ich seine Texte lese, gleite ich ganz mühelos durch die Sätze und fühle mich vollkommen in der Geschichte verwoben. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass der Autor seine Worte mit großer Sorgfalt und Präzision gesetzt hat, was den Text an sich auch einfach sehr schön macht und was ich sehr schätze.

Die Charaktere des Buches berühren mich, lassen mich mitfühlen und mitfiebern. Nicht jede Person ist mir sympathisch, dies ist vom Autor aber mit Sicherheit auch nicht so gewollt und in meinem Empfinden erfüllen alle ProtagonistInnen ihre Aufgaben in der Geschichte mit großer Stimmigkeit und Authentizität. Durch den weiten Zeitraum und die beiden Zeitebenen findet zudem eine starke Entwicklung und Veränderung bei den Charakteren, aber auch im Umfeld statt und das bietet viel Dynamik. Es geschieht wirklich viel in den Zeilen dieses Buches und somit ist die Handlungsebene reichlich bestückt. Und doch bleibt es auch eine „leise Geschichte“, die die zarten Zwischentöne im Nebel herausarbeitet und das begeistert mich sehr.

„Das Antiquariat am alten Friedhof“ kann meiner Meinung nach gar nicht einem Genre zugeordnet werden, denn es vereint viele unterschiedliche Stile, was das Lesen auch so interessant macht. Neben einem Spannungs- und Kriminalroman, finden sich Elemente einer Liebesgeschichte, Familie und Freundschaft spielen eine wesentliche Rolle und auch historisch-gesellschaftliche Themen sind sehr präsent. Zudem sind Bücher allgegenwärtig ein wichtiges Thema der Geschichte, was ich sehr mag. Die beschriebene Vielschichtigkeit und Einzigartigkeit kann ich nur wärmstens empfehlen und wünsche allen LeserInnen eine spannende Lesezeit!