Der Schatten des Manuskripts

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Leipzig, eine Stadt der Bücher

Auch in dem vierten Band über die graphischen Viertel finden wir uns in Leipzig wieder. Und wieder schwebt der Schatten der Veränderung über der Geschichte. Und wieder steht ein Buch in der Mitte der Handlung. Ein Buch, welches das Leben aller beteiligten für immer verändert.

In den 1930er Jahren folgen wir vier Studenten, Felix, Vadim, Eddie und Julius, die auf ihrer Jagd nach Abenteuern und dem Wunsch, gegen die Ansichten und Vorschriften der Eltern zu rebellieren, in einen Konflikt hineingezogen werden, der um einiges größer ist, als sie jemals für möglich gehalten hätten.

Fünfzehn Jahre später, am Ende des Krieges 1945, kehrt Felix zurück in seine Heimatstadt Leipzig und erneut erheben sich die Schatten von damals. Die Schatten, die das Leben der vier Freunde von damals aus den Fugen gehoben hatten.

Stein für Stein rollt Felix die Geschichte auf, trifft ehemalige Bekannte und vermittelt zwischen polizeilichen Behörden und Geheimdiensten. Puzzleteil für Puzzleteil fügt sich das Gesamtbild zusammen, verrät Motive und Schicksale, die immer dichter miteinander verstrickt werden.

Langsam, aber unaufhörlich bahnt sich die Katastrophe an. Der stete Wechsel zwischen den beiden Zeiten erhöht die Spannung, bis sie zu zerreißen droht. Zahlreiche Anspielungen und Vorzeichen nehmen mögliche Handlungsvorläufe vorweg, ohne zu viel zu verraten. Die Geheimnisse der Vergangenheit vermischen sich mit der okkulten Besessenheit von Hitler, Stalin und deren obersten Befehlshabern.

„Der Krieg machte sie alle zu Gefangenen. Die Lügen, die sie überleben ließen, waren ihre Ketten und die Umstände ihr Kerker.“

So deutlich wie in bisher keinem seiner Bücher zeigt Kai Meyer, wie stark der Krieg Menschen verändern kann, wie schnell Jugendlicher Leichtsinn in brutale Realität münden kann, wie oft die Unschuldigen zu Opfern der Gewalt und der Umstände werden können und wie welch gefährliche Waffen Bücher in den Händen der falschen Person werden können.

„Immerhin waren es Bücher, die Stalin an die Macht gebracht haben […] Bücher haben den Zaren gestürzt, Bücher haben die russischen Juden aus dem Land getrieben, und Bücher haben zur Revolution aufgerufen. Und am Ende werden es wieder Bücher sein, die Stalins Regime beenden. Bücher, die irgendwer im Exil oder im Arbeitslager schreibt.“

„Das Antiquariat am alten Friedhof“ ist ein erneutes Meisterwerk von Kai Meyer, der seinen Leserinnen und Lesern mit seiner bildgewaltigen Sprache erneut vor Augen führt, wie schmal der Grat zwischen Mut und Leichtsinn, zwischen oberflächlicher Freundschaft und tiefer Verbundenheit ist.

Wie auch bei den anderen Bänden müssen die Vorgänger der Reihe nicht gelesen werden. Dennoch findet sich die eine oder andere bekannte Figur zwischen den Seiten wieder. Genau wie der sanfte Schimmer der Hoffnung, der jedes Mal erscheint, sobald einer, der schon so vieles war, ein Gärtner, ein blinder Passagier, ein Kindermädchen, ein Buchbinder, ein Dolmetscher, ein Spion, wieder einmal das Wort ergreift:

„Jeder hat einen Koffer dabei. Nur wir nicht. Beste Voraussetzungen für ein neues Leben. […] Ein Neuanfang mit nichts. Eine neue Stadt, ein neuer Name. Vielleicht etwas Besseres als das, was war“

"Diese Stellen wurden direkt aus dem Buch, Auflage Oktober 2025, entnommen"